14.04.2021

Gefährliches Vertrauen

Kinder und Jugendliche fotografieren sich heute in allen Lebenslagen, um die Bilder auch online in sozialen Netzwerken bzw. in Messenger-Diensten zu teilen. Die Selbstinszenierung ist mit Risiken verbunden, die vielen jungen Menschen zwar bewusst sind, aber die möglichen Konsequenzen können sie nicht einschätzen.
Foto: un-perfekt/Pixabay

Erzbistum (-wedel). Fast jeder hat es schon einmal getan. Schnell ein Foto machen und über einen Messenger-Dienst teilen: der populärste ist WhatsApp. Einfach ein Foto verschicken, um Familie und Freunde an einem schönen Moment in Echtzeit teilhaben zu lassen. Die Fotofunktion kennen alle, aber mit den Datenschutz-Einstellungen befassen sich die wenigsten. Jetzt hat es eine Schulung zum Thema Cyberkriminalität mit der Kölner Therapeutin Ruth Habeland für haupt- und ehrenamtliche Präventionsfachkräfte im Erzbistum Paderborn gegeben.
Eben online Nachrichten lesen, E-Mails und WhatsApp checken oder schauen, was bei Facebook und Instagram im Moment los ist. Statistisch gesehen verbringen wir rund 221 Minuten täglich online. Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Zeit, die wir online verbringen, verdoppelt. Corona verschärft die Situation: Immer mehr soziale Interaktion verlagert sich in die Online-Welt. Dabei ist jeder dritte Internetnutzer minderjährig. Dass das eigene Kind Opfer von Cyberkriminalität – in welcher Form auch immer – werden könnte, liegt für die Mehrzahl der Eltern jenseits aller Vorstellungskraft: „Uns kann das nicht passieren“ lautet der gefährliche Trugschluss. Philipp Ashton, Dekanatsreferent für Jugend und Familie im Dekanat Herford-Minden betont: „Man sieht die Täter nicht, aber nur weil man sie nicht sieht, bedeutet das nicht, dass sie nicht da sind.“
Viele Eltern wissen nicht, was technisch möglich ist
Viele Kinder und Jugendliche spielen zum Beispiel Computerspiele online. Was viele Eltern nicht wissen: Bei den meisten Spielen tauschen sich die Teilnehmer/-innen im Chat aus. Pädophile nutzen diese Chats, um sich das Vertrauen von Kindern und Jugendlichen zu erschleichen. „Viele Eltern wissen gar nicht, was technisch überhaupt möglich ist“, sagt Rabea Krato, Dekanatsreferentin für Jugend und Familie im Dekanat Bielefeld-Lippe. „Kinder und Jugendliche daddeln auch über Spielekonsolen wie die Playstation oder die X-Box und die Eltern haben die Chat-Funktion via Internet überhaupt nicht auf dem Schirm.“ Philipp Ashton ergänzt: „Verbote bringen uns nicht weiter. Onlinespiele und soziale Medien gehören längst zur Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen. Schließlich sind sie damit aufgewachsen.“ Vielmehr gehe es darum, gemeinsam mit Neugierde und Offenheit in die Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen einzutauchen und sich damit vertraut zu machen. „Während der Schulung gab es auch bei uns viele Aha-Effekte. Die Mittagspause der Schulung hat eine Teilnehmerin zum Beispiel genutzt, um sich von ihrem Sohn das Onlinespiel ‚Fortnite‘ erklären zu lassen“, so Krato. „Der Junge war erstaunt und sagte, dass er gar nicht gewusst hätte, dass seine Mama sich dafür interessiert. Er hat ihr alles gezeigt und erklärt.“ Als Bezugsperson müsse man einfach da sein, zuhören und wissen, was online läuft und möglich sei, auch um offen über eventuelle Gefahren im Bereich Onlinespiele, soziale Medien und Messenger-Dienste zu sprechen.
Das sieht Pastor Carsten Adolfs, Dekanatsjugendseelsorger und Präventionsfachkraft im Pastoralen Raum Widukindsland / Dekanat Herford-Minden genauso: „Ziel ist es, die Kids zu sensibilisieren: Was geschieht, wenn ich Fotos aus dem Ferienlager verschicke? In der Regel vertrauen wir ja alle blind den Empfängern von Bildern. In der Hoffnung, dass die Bilder nicht weitergegeben werden.“ Doch was ist mit den Empfängern?
Lernen Kinder und Jugendliche über Online-Spielplattformen vermeintliche Spielgefährten kennen, gaukeln ein Profilbild, das Alter oder Namen Transparenz und Sicherheit vor. „Der Anbahnungsprozess geht rasant schnell“, sagt Krato. „Täter verlagern Chats sofort von den Plattformen auf private Messenger-Dienste und es geht dann schnell zur Sache.“ Ein Chat über WhatsApp & Co. wirke sehr schnell vertrauter. „Unbedacht geäußerte Informationen machen junge Menschen leicht erpressbar und je mehr Vertrautheit ein Täter auch in relativ kurzer Zeit aufbaut, desto größer sind die Schwierigkeiten, dann den Eltern oder anderen Vertrauenspersonen Bescheid zu geben, dass etwas nicht stimmt“, so Krato. „Wir sollten uns zuerst selber mit unserem eigenen Online-Nutzungsverhalten auseinandersetzen. Schließlich sind wir alle Vorbilder, die auch angesprochen werden.“
Diese Erfahrung machen Präventionsfachkräfte immer wieder. Oft geschähen wichtige Gespräche scheinbar beiläufig. „Wenn wir Vorträge halten und unsere Unterlagen einpacken, sprechen uns dann die 16-jährigen Gruppenleiter/ -innen an, beispielsweise um über ungute Gefühle in einer bestimmten Situation zu reden.“ Jugendliche verhielten sich anders als Erwachsene. „Neben unserer Aufmerksamkeit ist es ganz wichtig, Kinder und Jugendliche gezielt zu stärken, damit sie sich eigenmächtig schützen. Das ist die beste Prävention.“

Info
Sexting: Die Wörter „Sex“ und „Texting“ bilden den Begriff „Sexting“. Dabei geht es um selbst gemachte Bilder, die Kinder und Jugendliche spärlich bekleidet oder nackt zeigen. Als „sexy Selfies“ werden sie dann an bestimmte Personen verschickt: in der irrigen Annahme, dass mit den Bildern vertrauensvoll umgegangen wird, was aber nicht immer der Fall ist. Das größte Risiko beim „Sexting“ ist der Zugriff Dritter auf die Bilder. Trotz der Risiken machen viele Jugendliche mit, da „Sexting“ als Liebes- und Vertrauensbeweis gilt, und machen sich so leicht erpressbar.
Cybermobbing: Beim Cybermobbing geht es um das Beleidigen, Bedrohen und Bloßstellen einer Person in der digitalen Welt, zum Beispiel in sozialen Netzwerken, Klassen- und Schulchats oder auf Messenger-Diensten. Oft geht Cybermobbing mit Mobbing in der realen Welt einher.
Cybergrooming: Beim Cybergrooming geht es um die gezielte Anbahnung von sexuellem Kontakt. Erwachsene oder Gleichaltrige nutzen die Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen aus. Der Kontakt entsteht mit einem falschen Profil, auf dem sich Erwachsene als Gleichaltrige ausgeben. Schrittweise wird Vertrauen aufgebaut, möglichst schnell versucht der Täter, den Chat in private Messenger zu verlegen, um nach Fotos, Videos und den Zugriff auf die Webcam zu fragen. Kinder und Jugendliche sind strategisch handelnden Tätern immer unterlegen. Insbesondere Emotionen wie zum Beispiel Verliebtheit nutzen sie gnadenlos aus. Ein sexueller Onlinekontakt führt in der Regel bei einem Treffen in der analogen Welt zu Missbrauch.

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