07.04.2021

Kunst und Widerstand

Hans Mühl (links) und Markus Klüppel an dem Christus-König-Kreuz des Künstlers Franz Breitholz. Foto: Körtling

Hamm-Süden. Ein besonderer Schatz wurde im vergangenen Juni im Magazin des Gustav-Lübcke-Museums wiederentdeckt: Markus Klüppel, Landschaftsarchitekt der Stadt Hamm und auch zuständig für die Friedhöfe, fand ein im Bombenkrieg verloren geglaubtes Kreuz des Bildhauers Theodor Brün. Inzwischen wird das Kreuz aufwendig restauriert, um anschließend wieder aufgestellt zu werden. Doch neben der künstlerischen Bedeutung verbirgt sich in diesem Vorgang auch eine spannende Episode deutscher Geschichte.

von Peter Körtling

Ein besonderes Kreuz, um einem besonderen Künstler zu helfen– das war der Gedanke, als der Kunsthistoriker und Dichter Dr.Heinrich Ossenberg den Bildhauer, Maler und Grafiker Theodor Brün damit beauftragte, für seinen am 16.Januar 1934 verstorbenen Vater sowie seine am 11.Februar verstorbene Mutter ein hölzernes Grabkreuz zu erstellen. So schrieb er: „Mein lieber Brün!… Eine andere Sache: Meine Schwester möchte ein Holzkreuz für die Grabstätte meiner Eltern haben und hat dabei an Sie als den Autor des zu schaffenden Meisterwerks gedacht. Daß ich nicht gegen den Plan bin, können Sie sich ja wohl denken.“

Der Wunsch wirkt zunächst normal, doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich die Brisanz des Anliegens: Ossenberg war eine gut vernetzte Persönlichkeit der Kunstszene in den frühen 1930er-Jahren. Nach seinem Studium der Kunstgeschichte und Philosophie arbeitete der am 12.März 1900 geborene Ossenberg im Gustav-Lübcke-Museum Hamm. 

Aus Museen entfernt

Er wirkte an zahlreichen Ausstellungen mit und bildete den Vorsitz, als sich die Künstlergruppe „Junges Westfalen“ gründete. Dazu gehörten Künstler wie Ittermann, Hoetger, Hölscher, die Gebrüder Viegener und Theodor Brün. Gerade mit Brün verband ihn eine Freundschaft, wie aus dem erhaltenen, umfangreichen Briefwechsel zwischen ihnen hervorgeht.

Mit dem Auftrag für das Grabkreuz wollte Ossenberg seinen Freund auch unterstützen, denn dieser hatte bereits sehr früh unter den Nazis zu leiden: Nach dem Abitur hatte Brün in München Jura studiert. Dieses Studium brach er aber nach kurzer Zeit ab, um dort nun Kunst zu studieren. Noch vor dem Ersten Weltkrieg konnte er mithilfe des Hagener Malers und Brücke-Mitgliedes Christian Rohlf eine erste Ausstellung durchführen. 

Von 1914 bis 1918 war Brün Soldat, nach dem Ersten Weltkrieg wurde er, besonders durch seine Holz-Skulpturen, bekannt. Ab 1933 war die expressive Formsprache Brüns jedoch bei den Nazis unerwünscht. Bei der Beschlagnahmeaktion zur „Entarteten Kunst“ wurden etliche seiner Werke aus den Museen entfernt, etwa die Holzskulptur „Der große Lobgesang“ aus dem Gustav-Lübcke-Museum und Kunstwerke aus dem Karl-Ernst-Osthaus-Museum in Hagen. 

Seine großformatige Skulptur „Schauspieler“, die zuvor im Foyer des Hagener Theaters gestanden hatte, wurde 1937 in der Femeschau „Entartete Kunst“ in München gezeigt. Einige dieser Werke wurden wohl mutwillig zerstört, andere sind bis heute verschollen. Die Aussicht auf eine Akademieprofessur in Düsseldorf wurde vereitelt und Brün wurde aus der „Reichskammer der bildenden Künste“ ausgeschlossen.

Dann eben Christkönig

Zwischen den Freunden entspann sich ein reger Briefwechsel zu dem Kreuz, bis Ossenberg am 7.Juli 1935 plötzlich an einem Hirnschlag starb. Am 11.Juli wurde er neben seinen Eltern beerdigt und seine Schwester Luise Ossenberg kümmerte sich um die Aufstellung des Kreuzes auf dem katholischen Südenfriedhof in Hamm. Doch das moderne Kreuz konnte nicht lange am Standort bleiben.

Sowohl die Politik wie die örtliche Bevölkerung stießen sich daran. Neben der Nazi-Haltung zur Kunst war es wohl der knappe Lendenschurz Jesu, der auch in der Gemeinde Unruhe aufkommen ließ. Nach einem Brief des früheren Gemeindepfarrers Anton Maas, sah sich Luise Ossenberg gezwungen, das Kreuz zu entfernen. Damit war die Geschichte jedoch nicht beendet: Ossenberg beauftragte nun den nazikonformen Künstler Franz Breitholz aus Münster mit einem neuen Grabkreuz.

Dieses Exemplar war wiederum ungewöhnlich und brachte den stillen Protest der Familie zum Ausdruck: Christus wurde darauf als Weltenherrscher „Christkönig“ mit Mantel und Krone dargestellt. Diese für Friedhöfe eher ungewöhnliche Darstellungsform hatte bei der katholischen Jugend der Weimarer Republik große Bedeutung. Bei Messen mit Fahnenabordnungen und Prozessionen symbolisierte „Christus König“ das klare Statement gegen den Führerkult.

Dieses Kreuz des „stillen Widerstandes“ ist seitdem auf dem Südenfriedhof zu sehen und die Grabstelle wird vom heutigen Inhaber Hans Mühl, einem Patenkind Luise Ossenbergs, hervorragend gepflegt. „Es freut mich sehr, dass auch das Kreuz von Brün wieder da ist“, sagt Mühl lächelnd. Er dankt Klüppel dafür und erklärt, dass seiner Patentante die Restaurierung und Neuaufstellung des Kreuzes sicherlich eine große Freude wäre.

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