14.08.2020

Erwählung aus Liebe

Heikel: Jesus vergleicht Fremde mit Hunden, die Frau greift das Motiv auf und deutet es versöhnlich. Foto: Sven Lachmann / Pixabay

Das Verhältnis Israels zu den fremden Völkern ist ein Thema, das so gut wie alle Bücher der Bibel durchzieht und verbindet. Von der gottgewollten schöpferischen Vielfalt in den Texten der biblischen Urgeschichte (vgl. Gen 1 und Gen 10) bis hin zu den Zeugnissen der ersten christlichen Gemeinden im vielfältigen Kontext in der griechisch-römischen Lebenswelt des 1. Jh. n. Chr. begegnet uns in der Bibel die Herausforderung der universalen Offenheit des Heils, das vom Gott Israels ausgeht.

Neue Herausforderungen

Unüberhörbar ist im Lesungstext, der dem dritten Teil des Buches Jesaja entnommen ist (vgl. dazu Infokasten), die Aufforderung zu hören, auch „Fremde, die sich dem Herrn anschließen“ in der Gemeinde aufzunehmen. Die prophetische Stimme des sogenannten Tritojesaja wird in das späte 6. Jh. v. Chr., also in die Situation des Aufbaus und Neuanfangs nach dem babylonischen Exil eingeordnet. In dieser Zeit des persischen Großreichs steht das Judentum vor ganz neuen Herausforderungen. Es gilt, inmitten eines von Fremdherrschaft dominierten Vielvölkerstaates eigenständige religiöse Identität zu entwickeln. Und dies, so der Prophet, geschieht nicht in erster Linie durch Abgrenzung, sondern durch Öffnung und Integration der Suchenden aus allen Völkern, die nach Gott Ausschau halten. Gerade darin liegt eine Berufung Israels, als jenes Volk, das Gott erwählt hat, „damit man auf Erden deinen Weg erkenne“ (vgl. Psalm 67,3).

Prophetische Vorgabe

Die Theologie des Mt-Evangeliums schließt eng an diese prophetische Vorgabe an. Mehr als die anderen Evangelien betont der matthäische Verfasser die Verortung der Person und der Botschaft Jesu im Judentum. Jesus ist der messianische Davidsohn, der das Volk Israel neu sammelt und eint. Gleichzeitig ist bei Matthäus aber auch von Anfang an klar, dass das Heil des Gottes Israels nicht an die Grenzen und Traditionen des Landes und des Volkes Israel gebunden bleibt. So wird nach Matthäus etwa schon die Geburt Jesu, des messianischen Königs Israels, von weisen Magiern aus dem Osten erkannt…

Das aktuelle Sonntagsevangelium steht ganz in dieser Spannung. Eine Frau, die als Kanaanäerin bezeichnet und damit ausdrücklich als nicht-jüdisch charakterisiert wird, bittet Jesus um die Heilung ihrer Tochter. Sie spricht ihn mit „Herr“ und „Sohn Davids“, also messianischen Hoheitstiteln an – für sie ist Jesus der Erlöser, der Befreiung von versklavenden Mächten bringt. Obwohl die Jünger Jesu diese Fremde wegschicken und ihrem Meister nicht zumuten wollen, kommt es zu einer höchst bemerkenswerten Begegnung zwischen Jesus und der Frau. Trotz der zunächst skeptisch-nachdenklichen Reaktion Jesu auf die Bitte der Frau, die so gar nicht dem entspricht, was wir als Bibelleser(innen) üblicherweise von Jesus kennen, scheint sich hier etwas Besonderes zu ereignen. Wenn man den kurzen Dialog nicht nur kognitiv reflektiert, sondern wie auf sich wirken lässt, wird in dieser Begegnung zwischen Jesus und der Frau eine Kraft und eine Dynamik spürbar, die die Frau regelrecht über sich selbst hinauswachsen lässt. Es scheint, als wenn von der Gegenwart Jesu etwas ausgeht, das in der Frau eine ungeahnte Sicherheit und Klarheit bewirkt. Als Kanaanäerin findet die Frau auf ihre eigene Art (vgl. das Bild der Hündlein unter dem Tisch) im jüdischen Messias das Heil. 

Aus Liebe erwählt

Aus Liebe hat Gott Israel aus allen Völkern als sein Volk erwählt (vgl. Dtn 7,8). Auch wenn diese Erwählung die erste bleibt, ereignet sie sich grenzenlos dann aufs Neue, wenn Menschen sich auf diese Liebe einlassen.

Info

Tritojesaja: Der dritte und letzte Teil des Buches Jesaja (Jes 56 – 66) wird nach Deuterojesaja (vgl. Jes 40 – 55 am 17. Sonntag im Jk von Thosten Hasse vorgestellt) als Tritojesaja bezeichnet. Er weist bereits in die Zeit nach dem babylonischen Exil, als sich in der persischen Provinz Jehud (= etwa Judäa) ein jüdisches Gemeinwesen unter persischer Fremdherrschaft etabliert. Im Kontext des Vielvölkerstaates muss sich Israel bzw. das Judentum zu nichtisraelitischen Völkern verhalten, was sich in vielen theologischen Reflexionen des Alten Testaments widerspiegelt. Die Konstituierung einer jüdischen Identität im Angesicht der Völker ist daher ein Grundthema bei Tritojesaja.

Über die Autorin

Christiane Koch, Professorin für Exegese und Biblische Theologie an der KatHO NRW, Abteilung Paderborn, und Diözesanleiterin des Katholischen Bibelwerkes.

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