03.07.2020

Heraus aus der Sprachlosigkeit

Ende Juni unterzeichneten Johannes-Wilhelm Rörig (sitzend, links) und Bischof Stefan Ackermann (rechts) die gemeinsame Erklärung zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche in Deutschland. Rörig ist der Unabhängige Beauftrage für Fragen des sexuellen Missbrauchs (UBSKM), Ackermann ist der Beauftragte der Bischofskonferenz zu diesem Thema. Mit der Erklärung haben sich die Bischofskonferenz und der UBSKM auf verbindliche Kriterien und Strukturen für eine umfassende und unabhängige Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz unter Einbeziehung von Betroffenen verständigt. Erarbeitet wurde die Erklärung vom UBSKM sowie von der von ihm eingerichteten Arbeitsgruppe „Aufarbeitung Kirchen“ und Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz. Mit der Erklärung setzten die Bischöfe, so die Bischofskonferenz in einer Pressemitteilung, „den Kurs der Aufarbeitung des Missbrauchs fort, der durch zahlreiche regionale Aufarbeitungsprojekte sowie die interdisziplinäre Studie ,Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz‘ (MHG-Studie) begonnen wurde“. Der Text der Erklärung findet sich auf der Homepage der Bischofskonferenz.

Foto: DBK / Matthias Kopp

Die Bischofskonferenz hat sich verpflichtet, den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland unabhängig aufarbeiten zu lassen. Bereits im letzten Herbst hatte sich das Erzbistum dazu entschieden, bei der Kirchenhistorikerin Prof. Dr. Nicole Priesching eine eigene Studie zu diesem Thema in Auftrag zu geben. Coronabedingt verzögerte sich der Beginn, jetzt konnte das Projekt starten (Der Dom berichtete)

 

Die Bischofskonferenz hat sich verpflichtet, den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland unabhängig aufarbeiten zu lassen. Bereits im letzten Herbst hatte sich das Erzbistum dazu entschieden, bei der Kirchenhistorikerin Prof. Dr. Nicole Priesching eine eigene Studie zu diesem Thema in Auftrag zu geben. Coronabedingt verzögerte sich der Beginn, jetzt konnte das Projekt starten (Der Dom berichtete).

Frau Professorin Priesching, was genau ist Ihr Auftrag?

Mein Auftrag ist, in den nächsten drei Jahren eine historische Studie zu erstellen. Ihr Thema lautet „Missbrauch im Erzbistum Paderborn – Eine kirchenhistorische Einordnung. Die Amtszeiten von Lorenz Jaeger und Johannes Joachim Degenhardt“. Es geht also um den Zeitraum zwischen 1941 und 2002.

„Historische Einordnung“ bedeutet was?

Das bedeutet, dass wir die Fälle in diesem Zeitraum in den Kontext stellen und historische Zusammenhänge erforschen wollen. Dabei befassen wir uns zum einen mit dem sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker. Wir versuchen also, Einzelfälle zu rekonstruieren, soweit wir das über die Akten und die Zeitzeugeninterviews leisten können. Zum anderen geht es uns – und das ist die größere Frage – um den Wandel der Bewertungsmaßstäbe und der Praxis, also um die historischen Zusammenhänge. Das Ganze ist ja vielleicht das dunkelste Kapitel der kirchlichen Nachkriegsgeschichte, und wir interessieren uns dafür, warum die Vorfälle immer wieder vertuscht wurden. Welche Handlungsmuster lassen sich bei Tätern und in deren Umfeld finden? Welche Strukturen begünstigten den Missbrauch?

Könnte die historische Betrachtung nicht dazu führen, den Missbrauch zu relativieren im Sinne von: „Das hat man halt früher anders gesehen“?

Nein, überhaupt nicht. Wir wollen den Blick für die spezifischen Ursachen und Umgangsweisen schärfen, aber wir wollen den Missbrauch auf keinen Fall relativieren. Wir sind uns doch alle einig, dass das etwas ganz Schreckliches war und ist. Auch in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten war man sich durchaus im Klaren, dass hier ein ernstes Problem vorliegt. Wir können die Verantwortung der damals Handelnden nicht dadurch relativieren, dass wir sagen, das war damals eben so. Aber im Laufe der Geschichte veränderten sich die Diskurse, also wie über Moral, über Pädagogik, über Pastoral gesprochen wurde. Auch die Gesetzgebung veränderte sich, d.h. der juristische Bezugsrahmen. Da gibt es Entwicklungslinien, und die muss man schon auch beleuchten, um zu verstehen, welche Denkfiguren und Handlungsspielräume vorlagen und Einfluss ausübten.

Ihr Untersuchungszeitraum reicht de facto bis in die Gegenwart, weil damals handelnde Personen heute noch da sind, teils in anderen Ämtern. Wie heikel kann das für das Erzbistum werden?

Das weiß ich natürlich noch nicht. Aber es gehört zu meiner Unabhängigkeit, dass ich mich genau von solchen Fragen löse – schon um der geschichtlichen Objektivität willen. Für uns zählt, unsere Arbeit wissenschaftlich gut zu machen.

Wie unabhängig können Sie denn wirklich arbeiten? Als Theologin kann man bei Ihnen doch mindestens eine gewisse Grundsympathie für die Kirche voraussetzen.

Ja, aber Sie dürfen auch voraussetzen, dass Theologinnen und Theologen einen dezidierten Standpunkt einnehmen können, wenn es um das Unrecht und Leid der Opfer geht. So verstehe ich Christentum. Von den Strukturen bin ich völlig unabhängig, da das Projekt an der Universität Paderborn angesiedelt ist. Es gibt also keine Weisungsgebundenheit gegenüber dem Erzbischof oder Ähnliches.

Auch nicht hinter den Kulissen?

Bislang versucht niemand, Druck auszuüben, weder vor noch hinter den Kulissen.

Welche Befugnisse haben Sie denn?

Für die Dauer des Projekts wurde mir und meiner Mitarbeiterin uneingeschränkter Zugang zu den Akten zugesagt, und das funktioniert bislang sehr gut.

Die Aktenführung ist ja in der MHG-Studie als ein Problem benannt worden. Welchen Eindruck haben Sie?

Die Akten sind lückenhaft, bzw. es steht nicht alles drin, was man gern wüsste. Aber damit haben wir Historikerinnen oft zu tun. Das ist auch einer der Gründe, warum wir Interviews führen wollen.

Das ganze Interview gibt es in der Doppelausgabe des Doms 27/28 zu lesen.

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