17.01.2020

Wie unter Zwang

Andreas Wiedenhaus gibt dem Dichter Gottfried Benn Recht: „Am Anfang war das Wort – und nicht das Geschwätz!“

Mitreden können und vor allem dürfen– das war nicht immer selbstverständlich und musste in vielen Zusammenhängen mühsam erkämpft werden. Doch aus dem Recht, etwas zu sagen und sich in einer Debatte Gehör zu verschaffen, scheint aktuell eine Art Zwang geworden zu sein. Alles wird– speziell im Internet– kommentiert und bewertet; von der Bratwurst in der Pommesbude nebenan bis zu Entscheidungen und Ereignissen am anderen Ende der Welt.

Als Ergebnis gibt es allerdings in der Regel nicht eine Fülle von relevanten Beiträgen, sondern immer öfter eine Lawine von Verunglimpfungen und Beschimpfungen, die darauf hinausläuft, sich über die Empörung des jeweils anderen zu empören.

Grundlage ist dabei fast immer eine festgefügte Sicht der Welt, aus der heraus Ereignisse so „zurechtgezimmert“ werden, bis sie als Beleg für– oftmals völlig abseitige Theorien– taugen. Nach dem Motto: „Ich hab’s ja immer schon gewusst!“ Ein Blick in die Kommentarfunktion von Online-Zeitungsausgaben fördert Erstaunliches zutage. Bei den passenden Themen wird es spätestens nach dem dritten oder vierten Beitrag lächerlich oder auch gruselig.

Die „Umweltsau“-Debatte rund um den WDR hat gezeigt, wie Debatten in einer aufgeklärten Gesellschaft gerade nicht ablaufen sollten. Und sie hat deutlich gemacht, wie schnell die Empörungsmaschinerie eine Dynamik entwickelt, die nicht zu stoppen ist, sondern von selbst totlaufen muss. Das ist im Fall des WDR mittlerweile passiert. Doch in der Weite des Netzes wird immer irgendwo eine „Sau durchs virtuelle Dorf getrieben“.

Keine Erkenntnis

Solche Ereignisse mögen einen gewissen Unterhaltungswert für diejenigen bieten, die sie von außen betrachten. Einen wie auch immer gearteten Gewinn an Erkenntnis bringen sie auf keinen Fall. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat kürzlich festgestellt, dass Polarisierung, bei der Gegensätze greifbar und verstehbar würden, so gut wie nicht mehr stattfinde. An ihre Stelle ist ein Empörungsspektakel getreten ohne Ideen, aber mit reichlich Emotionen. Pörksen empfiehlt der Gesellschaft „Techniken der Abkühlung“.

Ein guter Vorschlag– denn wenn der Trend zu Eskalation und Hysterie weiter so anhält, dürften seriöse Debatten zu entscheidenden Zukunftsfragen kaum noch möglich sein. Gerade vor diesem Hintergrund sollte man sich überlegen, was man liked und teilt oder sonst wie kommentiert.

„Am Anfang war das Wort– und nicht das Geschwätz!“ Diesem Satz des Dichters Gottfried Benn ist in diesem Zusammenhang eigentlich nichts hinzuzufügen.

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