18.10.2019

Schuster der Armen

Schuster der Armen

von Claudia Auffenberg

Während im Erzbistum Paderborn die Rückführung der Liborius-­Reliquien gefeiert wird, gedenkt unter anderem das benachbarte Osnabrück zweier Heiliger, die im Kalender vor allem wegen ihrer ähnlichen Namen auffallen: Crispin und Crispinian. Man könnte vermuten, dass dies in Wahrheit eine Person ist, aber nein: Der Legende nach sind es zwei Brüder, Söhne aus vornehmem Hause, die in der Zeit der Christenverfolgung unter Diokletian aus Rom ins nordfranzösische Soissons fliehen. Dort werden sie zu erfolgreichen Glaubensboten mit einer einfachen und – so möchte man sagen – typisch christlichen Idee: Sie versorgen die Armen kostenlos mit Schuhen.

Vor dem Martyrium bewahrt sie das natürlich nicht. Unter Kaiser Maximian, also etwa um das Jahr 287, werden sie grausam gefoltert und schließlich ermordet. Die Soldaten haben offenbar einige Mühe, ihrer Herr zu werden und sie zu töten. Diese Art der vorübergehenden Unverwundbarkeit ist allerdings ein Motiv, das auch in anderen Heiligenlegenden überliefert wird. Fakt aber ist, dass am Ort ihres Martyriums eine Basilika errichtet worden ist, in der ihre Reliquien verehrt wurden. 570 nahm König Sigibert I. einige mit in sein Jagdgebiet, auf dem heutigen Stadtgebiet von Saarlouis, dort wurden sie am 25. Oktober vom damaligen Bischof bei der Weihe einer neuen Kirche in den Altar eingefügt. Im Zuge der Sachsenmission kamen Reliquien nach Osnabrück, wo die beiden Brüder heute Nebenpatrone des Domes sind. Hauptpa­tron ist der Apostel Petrus. Für Crispin und Crispinian wurde ein kostbarer Reliquienschrein angefertigt, der heute im Domschatz zu besichtigen ist.

Das Gedenken der Brüder findet sich aber auch an durch­aus überraschender Stelle. In Shakespeares Drama „Heinrich IV.“ gibt es eine berühmte Rede des Königs, die sogenannte St.-Crispins-Tag-Rede. Sie hat aber inhaltlich eher wenig mit den Heiligen zu tun, sondern eher mit dem Datum, dem 25. Oktober. An diesem Tag fand im Jahr 1415 eine der bedeutendsten Schlachten der Militärgeschichte statt, die Schlacht von Azincourt, in der England Frankreich vernichtend schlug. Bei Shakespeare ruft der König vor der Schlacht in einer aufrüttelnden Rede seine Soldaten dazu auf, diesen Tag zu ihrem zu machen und stolz auf die Narben zu sein, die sie auf Sankt Crispin empfangen werden. Ob den beiden Brüdern das gefallen hätte? Sicher einverstanden wären sie wohl mit dem Gedenken, das ihnen Richard Wagner gewährt. Im dritten Aufzug der Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ singen die Schuster: „Sankt Crispin war gar ein heilig Mann, zeigt, was ein Schuster kann. / Die Armen hatten gute Zeit, macht ihnen warme Schuh. / Und wenn ihm keiners Leder leiht, so stahl er sichs dazu.“ Abgesehen davon, dass hier zwei Heilige zu einem zusammengefasst werden, enthält der Text ein weiteres Missverständnis. Es klingt, als hätten die beiden gestohlenes Material verarbeitet. Das hat wohl mit einer falschen Übersetzung des alten Wortes „stalt“ zu tun, das nicht stehlen, sondern stellen bedeutet. Demnach haben die Schuster der Armen nicht nur auf Arbeitslohn verzichtet, sondern auch noch das Material kostenlos abgegeben.

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