13.09.2018

Der ungeduldige Macher

Die Pflege braucht ein besseres Image, doch wie geht das? Die Pflegekampagne der Paderborner Wohlfahrtsverbände gehe das Thema richtig an, sagte Jens Spahn. Man müsse auf Emotionen und neue Ideen setzen. Foto: Flüter

Paderborn. Es war kein leichter Auftritt für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, als er am vergangenen Samstag im Paderborner Rathaus mit 170 Pflegekräften aus dem Kreis Paderborn diskutierte. Doch der Politiker wurde von seinen Gesprächsteilnehmern mit Applaus verabschiedet. Die hoffen jetzt auf schnelle Veränderungen in der krisenhaften Pflegebranche.

von Karl-Martin Flüter

Der Bundesgesundheitsminister war auf Einladung der Wohlfahrtsverbände im Kreis Paderborn und vermittelt durch seinen Parteifreund, den Paderborner Bundestagsabgeordneten Carsten Linnemann, zu der Diskussion in die Bischofsstadt gekommen.

Der Termin fand im Rahmen einer lokalen Imagekampagne statt, die das Ziel hat, neue Pflegekräfte zu gewinnen. Ausschließlich Mitarbeiter aus der Pflege sollten im Rathaus die Möglichkeit haben, über ihre Situation direkt mit dem Minister zu sprechen. Gründe für ein Gespräch gibt es genug. Auch im Kreis Paderborn herrscht ein Pflegenotstand. Seit fast einem Jahr können die Pflegedienste nicht mehr alle Anfragen nach ambulanter Pflege annehmen. Das fällt auch auf die Pflegekräfte zurück, die über die Verdichtung der Arbeit klagen.

Man sei Opfer des eigenen Erfolges geworden, gestand Spahn. Die Pflegestärkungsgesetze der letzten Jahre hätten bessere Leistungen für mehr Patienten gebracht. Leider seien die alten Strukturen auf die vielen neuen Patienten nicht vorbereitet gewesen. Deshalb entstünden jetzt personelle Engpässe in der Pflege.

Doch Spahn will das ändern. Die Zeit des Anklagens und Jammerns in der Pflege soll vorbei sein. Das fördere nur das schlechte Image der Pflege und schrecke potenzielle neue Mitarbeiter ab, warnte Spahn und verwies dabei als positives Beispiel auf die Kampagne seiner Paderborner Gastgeber.

„Fühlt sich richtig an“, behauptet der Slogan, den die Paderborner ihrer Werbung für die Pflege vorangestellt haben. Man wolle sich nicht immer an Defiziten orientieren, sondern gemeinsam „nach vorne schauen“ und danach suchen, „was man in dieser Situation machen kann“, hatte Patrick Wilk, Vorstand des Caritasverbandes Paderborn und Sprecher der Wohlfahrtsverbände im Kreis Paderborn, zur Begrüßung gesagt.

So etwas gefällt Jens Spahn. „Ideen“ und „Emotionen“ brauche man, betonte er. Es geht darum, „Vertrauen zurückzugewinnen“. Spahn hat in den vergangenen Monaten bereits eine lange Liste vertrauensbildender Maßnahmen angestoßen oder schon durchgesetzt. In Paderborn zählte er sie auf: 13 000 neue Pflegekräfte sollen kommen, eine Ausbildungsoffensive wird folgen, Teilzeitkräften, Quereinsteigern und Arbeitnehmern aus dem Ausland soll es leichter gemacht werden, einen Job in der Pflege anzunehmen. Den Kliniken hat der Bundesgesundheitsminister Untergrenzen für das Pflegepersonal diktiert und die Krankenkassen dazu verpflichtet, das Geld für die neuen Kräfte zusätzlich zu zahlen.

Das alles löst bei Pflegekräften nicht nur Begeisterung aus. Manches sehen sie durchaus kritisch. Woher sollen die neuen Kollegen kommen, wurde aus dem Publikum gefragt. Dass zusätzliche Pflegekräfte in den Krankenhäusern von den Krankenkassen finanziert werden sollen, sei schön und gut. Aber warum geschehe das nicht auch mit der ambulanten Pflege? Auch dort würden Pflegende dringend gesucht. Und überhaupt reichten 13 000 zusätzliche Pflegekräfte nicht aus. Jens Spahn sprach in Paderborn selbst von 50 000 bis 70 000 fehlenden Pflegekräften.

Nicht alles sei sofort lösbar, antwortete der Minister den Skeptikern. Aber man wolle in kleinen Schritten, konkreten Maßnahmen und Verbesserungen vorangehen. Erste Folgen sollen in einigen Monaten bemerkbar sein. Bis dahin könne es im politischen Prozess durchaus „mal ruckeln“, sagt der alles andere als konfliktscheue Spahn: „Sonst passiert nichts.“

Wie er sich das vorstellt, erläuterte der Minister am Beispiel Pflegepersonaluntergrenze in den Krankenhäusern. Wenn Kliniken dagegen „strukturell“, also dauerhaft, verstoßen, drohen Schließungen. „Das wird in der Öffentlichkeit Diskussionen auslösen“, sagt der Minister. Er geht davon aus, dass der öffentliche Druck die Krankenhäuser zum Einlenken zwingen wird. Spahn selbst lässt schon jetzt die Muskeln spielen, um zu zeigen, wer in diesem Konflikt der Stärkere wäre: „Ich stehe das durch.“

Dem ungeduldigen Macher Jens Spahn ist es wichtig, dass etwas passiert. Viel zu lange hätten die Bürokratie im Regierungsapparat, aber auch die Selbstverwaltung der Träger und Kassen auch aus Eigen­interesse Fortschritte verzögert oder behindert. Der Minister berichtete, er entdecke immer wieder derartige Missstände und sehe sich dann zu einem raschen Handeln gezwungen. Wenn nötig per Verordnung. „Der Fisch stinkt vom Kopf her“, sagt Spahn und suchte in Paderborn erfolgreich den Schulterschluss mit der Basis – so als stehe er nicht selbst an der Spitze des Gesundheitsministeriums.

So berichtet Jens Spahn, wie er habe entdecken müssen, dass sich die Krankenkassen bei Verhandlungen mit der ambulanten Pflege immer noch weigern, den höheren Tariflohn der Pflegekräfte bei der Berechnung der Pflegehonorare zugrunde zu legen. Die Pflegekassen sind dazu bereits verpflichtet worden.

Weil bei vielen Patienten parallel die Behandlungspflege der Krankenkassen und die Grundpflege der Pflegekassen abgerechnet wird, verlieren die Pflegedienste durch die Praxis der Kassen viel Geld. „Das wird sich bis zum 1. Januar 2019 ändern“, versprach Spahn in Paderborn. Für Fachleute ist diese Ansage eine kleine Sensation, nachdem sie jahrelang vergeblich gewartet haben – und für Spahn ist das die Möglichkeit, sich wieder mal als Erneuerer vom Apparat abzusetzen.

Die Paderborner Pflegekräfte hat Spahn überzeugt. Mit ihm scheint tatsächlich ein neuer Stil in die Pflegepolitik eingekehrt zu sein. Am Ende applaudierten sie dem Politiker wie einem Schauspieler, fast als wollten sie ihn zu einer Zugabe auffordern. Doch die Zugabe ist in der Politik das Einhalten der Versprechungen – und diese Zugabe muss Jens Spahn noch liefern.

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