09.06.2017

Steine „zum Sprechen bringen“

Das berühmte Westwerk des Klosters Corvey. Foto: Schütz / pixelio

Höxter. Malerisch am Weserbogen gelegen, ist das UNESCO-­Welterbe mit den beiden majestätisch anmutenden Türmen steinernes Zeugnis großer Geschichte: Das Westwerk der ehemaligen Benediktinerabtei Corvey, zwischen 873 und 885 erbaut, war im frühen Mittelalter ein geistig-kultureller Leuchtturm, der weit über Europa strahlte. Um die herausragende Bedeutung der karolingischen Baukunst und Klostergeschichte zu veranschaulichen, sollen nun zu Saisonbeginn 2019 farbige Raum- und Lichtinstallationen Besucher in virtuelle Welten entführen.

von Martina Schäfer

In großen internationalen Museen wie in Rom und Jerusalem sind multimediale Inszenierungen längst an der Tagesordnung. In Corvey nimmt Professor Christoph Stiegemann vom Erzbischöflichen Generalvikariat Paderborn, Fachstelle Kunst und Leiter des Diözesanmuseums, nun das Heft in die Hand. Gemeinsam mit einem Expertenteam und in enger Abstimmung mit der Hausherrin des Westwerkes, der Kirchengemeinde St. Stephanus und Vitus, arbeitet der Leiter des Diözesanmuseums daran, die alten Bruchsteingemäuer des Westwerkes zeitgemäß und anschaulich zum „Sprechen zu bringen.“

Die ersten Vorarbeiten zum Projekt unter dem schönen Titel „Von Engeln bewacht – In der Himmelsstadt“ haben bereits begonnen, die ersten Kapitel des Drehbuches sind geschrieben: In Kooperation mit Architekten, Denkmalschützern, Restauratoren und Klimaspezialisten wird eine gläserne Trennwand im Untergeschoss des frühmittelalterlichen Bauwerkes eingebaut. Diese „intelligente“ Wand aus speziellem Flüssigkristallglas bietet einerseits die Möglichkeit, Gläubige ungestört an Gottesdiensten in der angrenzenden barocken Abteikirche teilnehmen zu lassen und kann andererseits nach Bedarf als Projektionsfläche für Multimedia-­Inszenierungen eingesetzt werden. „Für uns ist es wichtig, die Integrität des Sa­kralraumes zu gewährleisten und behutsam vorzugehen“, sagt Professor Stiegemann und ergänzt: „Wir können dort keine Leinwände aufstellen und Filme ausstrahlen, sondern müssen uns an die denkmalverträglichen Vorgaben des historischen Raumes halten.“

Noch sensibler sieht es da mit dem liturgischen Herzstück des Westwerkes, dem Johannischor im Obergeschoss, aus. Bei der Erschließung ist äußerste Vorsicht geboten, übliche museale Ausstellungseinheiten sind nicht möglich. Berühmt für seine außergewöhnliche künstlerische Ausschmückung, wirkt der Bautrakt heute auf den ersten Blick „wie eine Baustelle“, so Christoph Stiegemann. Doch hinter dem abblätternden Putz befinden sich Reste von einst farbig gefassten, lebensgroßen Stuckfiguren sowie Teile eines gemalten Figurenfrieses, auf dem eine Szene aus der griechischen Mythologie dargestellt ist: der Kampf des Odysseus gegen das Meeresungeheuer Skylla, ein antikes Motiv, das christlich umgedeutet wurde.

Um den Besuchern das ursprüngliche farbenprächtige Erscheinungsbild des Johan­nis­chores deutlich zu machen, kommen Virtual-Reality-Brillen zum Einsatz, die ganz unmittelbar den realen Ort sinnlich erfassen und seine Geschichte widerspiegeln. „So wird den Besuchern die Aura des Originals vor Augen gestellt und auf eindrückliche Art und Weise die einzigartige Bedeutung des Welterbes erschlossen“, sagt Professor Stiegemann. Und das, ohne dass die historischen Mauern Schaden nehmen.

In das ehrgeizige Projekt fließen 1,74 Millionen Euro aus dem Förderprogramm „Nationale Projekte des Städtebaus“. Und das Erzbistum legt sich ins Zeug und steuert für die Erschließung weitere 2,5 Millionen Euro dazu. „Diesen entscheidenden Erinnerungsort zukunftsfähig zu machen, gehört zu den herausragenden Projekten, die das Erzbistum Paderborn im Rahmen seines Kulturauftrages in den kommenden Jahren verfolgen wird“, betont Generalvikar Alfons Hardt.

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