Glaube mit Gefühl

Gedanken zu Joh 11,3-7.17.20-27.33b-45

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Innehalten in der Erschütterung – um der Hoffnung willen: Londons Bürgermeister Sadiq Khan beim Gedenken am Tag nach dem Anschlag. Foto: dpa
veröffentlicht am 29.03.2017
Lesezeit: ungefähr 3 Minuten

Der Glaube an ein Leben nach dem Tod braucht die Kraft der Gefühle.

von Michaela Labudda

Es gibt Momente im Leben, da ist man mit sich und seinen Gefühlen im Reinen – und es sind eben gerade die Gefühle, die diese Momente so besonders erinnerungsträchtig und unverlierbar machen.

Erinnern Sie sich an besonders starke Gefühlsmomente in Ihrem Leben? Bei mir sind dies zum Beispiel die zauberhaften Stunden in der Nacht nach der Geburt meiner Tochter, aber auch die Zeit nach dem schmerzhaften Tod meiner guten Freundin. Eindrucksvoll erinnere ich auch Gefühlsmomente in der Liebe, den Flash manch kurzer Genüsse und die Wut angesichts manchen Streits. Ich mag den Stolz nach guter Leistung. Ich empfinde Trauer und Ohnmacht angesichts von Bildern hungernder Kinder, geschlagener Frauen und flüchtender Menschen. Welches sind Ihre Momente?

Die Gefühlsmomente Jesu kommen uns in der heutigen Bibelerzählung nahe. Dabei wirkt Jesus erst ganz cool und gelassen, als er von der Krankheit seines Freundes Lazarus hört. Er hört von dem anstehenden Tod, aber bleibt erst „noch zwei Tage an dem Ort, wo er war“, als sei dieser eine Lappalie. Doch der Evangelist Johannes führt uns vorher schon ein in die Gefühlsbeziehung, die Jesus zu seinen Freunden hat: „Jesus liebte Marta, ihre Schwester und Lazarus.“

Es scheint, als müsse sich Jesus dieser Gefühle nach und nach erst entsinnen, sie in sich zulassen, damit Gott handeln kann. Marta kommt ihm entgegen, als er endlich zu ihnen kommt. Weit vor dem Wohnort begegnet sie Jesus voller Verzweiflung, aber auch mit Hoffnung. Obschon sie den Tod akzeptiert hat, sagt sie: „Aber auch jetzt weiß ich: Alles, worum du Gott bittest, wird Gott dir geben!“ Auf dieser Hoffnung aufbauend kommt es zu weiteren Gefühlsbezeugungen: Marta weint, Maria weint, auch die Menschen um das Haus he­rum weinen. Da weint auch Jesus. Tränen waschen den Staub von der Seele, heißt es in einem Sprichwort. Und auch in unserer Erzählung ist es, als ob nun alle Dämme brechen: „Jesus war im Innersten erregt und erschüttert.“

Und dennoch: Lazarus ist tot. Er ist richtig tot, fast toter als tot. Nach vier Tagen „riecht er“. Alle menschlichen Kategorien sagen: Aus und vorbei. Kein Zurück, keine Umkehr, kein Neubeginn. Zu viel Zeit vergangen, keine Hoffnung.

Warum geht die Erzählung anders aus? Die Schlüsselszene hat bereits stattgefunden. Jesus hat Marta ganz persönlich angesprochen, draußen vor der Stadt. Die Frage, die er ihr stellt, soll auch uns heute treffen: „Glaubst du das?“ Dieser Glaube soll tragen. Glaube ich das?

Hm. Glaube ich das? Niemals ist jemand von den Toten zurückgekommen; es gibt keine Sicherheit, nur Glaube und Hoffnung. Manch einer kann dies nicht zulassen, ähnlich wie auch der Glaube an die Liebe, der Glaube an Gerechtigkeit oder der Glaube an die Möglichkeit eines Neuanfangs viele verlassen hat.

Dass wir uns so schwer tun mit einer Hoffnung über den Tod hinaus, hat vielleicht auch damit zu tun, dass wir postmoderne Menschen uns schwer tun mit Gefühlen überhaupt. Was hat Bestand in einer Zeit voller Wechsel und Möglichkeiten? Psychologen wissen, dass Menschen, die den Zugang zu ihren Gefühlen verloren haben, ihre Verletzungen nur schwer überwinden können. Erst wenn ich Zugang zu meinen inneren Tiefen habe, kann ich gesunden. Vielleicht ist es das, was uns nach der Lektüre des heutigen Evangeliums den Zugang zum Auferstehungsglauben ermöglicht: die Ermunterung Jesu, zu den Grundgefühlen des Lebens zu stehen, unseren eigenen Tiefen auf den Grund zu gehen, uns mitzuteilen und so neue Möglichkeiten des Denkens und Hoffens zu eröffnen!

Die Autorin ist Gemeinde­referentin im ­Pastoralverbund Unna.

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