25.11.2016

Mit einem Mahl ist alles anders

Harmonie über das Tischtuch hinweg: Professor Dr. Stefan Kopp (r.) und Elmar Simon (l.) fanden Gemeinsamkeiten zwischen Kirche und Küche. Moderiert wurde der Abend von Horst Steinhoff. Foto: Flüter

Paderborn. Was verbindet einen Sternekoch mit einem Liturgieprofessor? Neben der Leidenschaft fürs gute Essen vor allem die Erkenntnis, dass das Mahl Voraussetzung jeder Gemeinschaft ist.

von Karl-Martin Flüter

Die Paderborner Kirche St. Kilian begeht in diesen Tagen den 50. Jahrestag ihrer Weihe. Aus diesem Grund haben die Katholiken in der Südstadt ein Jubiläumsprogramm zusammengestellt, unter anderem mit einer Ausstellung von Werken des Paderborner Künstlers Josef Rikus. Die Veranstalter sind auch auf die ungewöhnliche Idee gekommen, zu einem Abend mit dem Paderborner Sternekoch Elmar Simon und einem Liturgieprofessor der Theologischen Fakultät, Stefan Kopp, in die Jubiläumskirche einzuladen. Thema: „Wir lieben unsere Küche“.

Man durfte gespannt sein, was sich im Zusammentreffen dieser beiden Welten ergeben würde. Tatsächlich ist beim Meinungsaustausch zwischen dem Theologen und dem Koch deutlich geworden, dass Kirche und Küche gar nicht so weit auseinander liegen.

Professor Dr. Stefan Kopp beschrieb anschaulich das katholische Verständnis des Sa­kramentes Eucharistie. Das Mahl steht im Mittelpunkt jeder eucharistischen Feier, sagt Kopp. Das Herrenmahl ist die Vergegenwärtigung des Letzten Abendmahls, in ihm begegnen sich das Heilige und das Weltliche. Jesus hat mit Blick auf seinen Tod etwas gestiftet, was darüber hinaus Bestand haben soll.

Bei den ersten Christen hatte das gemeinsame Mahl, das Brotbrechen, eine wichtige Funktion, weil es die „communio“, die Gemeinschaft der Gleichen, stärkte.

Auch diese Tradition lebt in der Eucharistie weiter, sie ist prägend für die Identität der Kirche. Im Laufe der Jahrhunderte hat sie die abendländische Kultur geformt. Das „Mahl“ ist eine zentrale Metapher für Zusammensein, Verständigung, aber auch für Lebendigkeit und Transzendenz geworden.

Elmar Simon lebt die Idee, dass Essen mehr ist als bloße Nahrungsaufnahme. Gut zu essen belebt den Geist, regt Gespräche an und schafft den Rahmen für das Miteinander von Menschen, ist er überzeugt. Doch leider kommt dem Chef de Cuisine des Paderborner Sterne-Restaurants Balthasar häufig der Respekt vor seiner edlen Küche in die Quere. Im „besten Anzug und mit der schönsten Krawatte“ kämen einige Gäste in sein Restaurant, bedauert Elmar Simon. Entsprechend beklommen und eingeschüchtert säßen die Besucher dann zu Tisch.

Für Elmar Simon ist es ein Warnzeichen, wenn er aus seiner Küche in den Gastraum tritt und kein gutgelauntes Stimmengewirr hört, wenn alle nur respektvoll flüstern. Dann versucht er, seine Besucher aufzulockern, auch die Kellner müssen bei diesem kleinen Animationsprogramm mitmachen. Dahinter steckt die Idee, dass es nur dann wirklich schmeckt, wenn man sich sinnlich und emotional öffnet: für das Essen, aber auch für die Umgebung und vor allem für die Tischnachbarn. Es darf ruhig ein wenig laut werden, wenn die Stimmung harmonisch ist. Der Chef lebt diese Lockerheit vor. Im Sommer läuft er auch schon mal in kurzer Hose durch den Gastraum und steht so für die Botschaft ein, dass Genuss nicht von Äußerlichkeiten abhängt.

Die biedere Version des Fein-Ausgehens mit Schlips und Anzug war vor einigen Jahrzehnten noch viel stärker verbreitet. Ein gutes Restaurant zu besuchen, war ein bürgerliches Ereignis. Wer „edel“ essen ging, müsste genug Geld haben und die Etikette kennen, um wirklich einer elitären Gruppe anzugehören: Wir im Feinschmeckerlokal und ihr da unten in der Kneipe mit der Hausmannskost.

Es liegt auch an Köchen wie Elmar Simon, dass sich das grundsätzlich geändert hat. Simon kocht seit drei Jahrzehnten in den besten Häusern. Vor zwanzig Jahren eröffnete er in seiner Heimatstadt Paderborn das Restaurant Balthasar, 1998 erhielt er zum ersten Mal einen Michelin-Stern. Er hat erlebt, wie sich die Esskultur – die Qualität des Essens und der unbeschwerte Genuss da­ran – in Deutschland entwickelt hat.

Dennoch bleibt die Art und Weise, wie wir speisen, ein soziales Unterscheidungskriterium. Wer weniger Geld hat, isst schlechter. Wem es sozial gut geht, hat vielleicht viele teure Kochbücher in der Küche stehen, aber keine Zeit, selbst zu kochen. Beide Gründe führen dazu, dass die Deutschen im Durchschnitt immer dicker werden.

Fastfood verträgt sich nicht mit guter Küche, auch nicht mit gutem Gottesdienst, sagt Stefan Kopp. Der Theologieprofessor hat in der Kirche eine Tendenz ausgemacht, das Sakrament der Eucharistie wie im Vorbeigehen als religiöse Dienstleistung „mitzunehmen“. Ein gutes Mahl, ob in der Kirche oder in der Küche, brauche jedoch Vorbereitung, ein Umfeld, das stimmt, Zeit zum Genießen und zum Beisammensein. Die Welt muss von den Speisenden abfallen.

Doch wer hat diese Ruhe heute noch, im Zeitalter der Schlingenden? Und wer kann die Gemeinschaft in der Gemeinde wirklich leben – in Zeiten, in denen viele Dörfer keinen eigenen Pfarrer mehr haben?

Es steht schlecht um die Kultur des Mahls, einerseits. Andererseits kann sich dies schnell ändern. Nach einem Zusammensein mit Freunden zu Tisch oder nach einem tief empfundenen Gottesdienstbesuch sieht die Welt ganz anders aus. Horst Steinhoff, Moderator des Abends, fasste diese Einsicht in einem Zitat des Kabarettisten Hans-Dieter Hüsch zusammen: „Mit einem Mahl ändert sich die Welt.“

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