25.05.2016

Die Willkommenskultur lebt

Viele Ehrenamtliche engagieren sich bei Sprachkursen für Flüchtlinge, wie hier in Wickede-Wimbern.Foto: KNA

Erzbistum. Horst Seehofer meint, das Ende der Willkommenskultur in Deutschland sei besiegelt. Eine Studie widerlegt ihn: Ohne die vielen freiwilligen Helfer wäre die Aufnahme von über einer Million Flüchtlingen seit Sommer 2015 nicht möglich gewesen. Vor allem bei der Kältehilfe, Behördengängen, Arztbesuchen oder der Sprachvermittlung haben Hunderttausende Großartiges geleistet. Trotz zunehmender Skepsis gegenüber der offiziellen Einwanderungspolitik ist der Trend zum Helfen ungebrochen.

Es sind Aussagen, die in ihrer Eindeutigkeit überraschen. Obwohl zuletzt vor allem negative Schlagzeilen etwa von Übergriffen auf christliche Migranten in Flüchtlingsheimen oder von einem Rechtsruck in der deutschen Gesellschaft die Runde machten, ist „die Bereitschaft, den Geflüchteten zu helfen, größer denn je“. Dies jedenfalls geht aus einer Mitte Mai publizierten Studie des „Maecenata Instituts“ über „Zivilgesellschaftliche Akteure“ in der Flüchtlingshilfe hervor.

Der Deutsche Caritasverband (DCV) und das Berliner Institut für empirische Inte­grations- und Migrationsforschung (BIM) bestätigen das. „Die, die eingestiegen sind, sind immer noch dabei“, sagt Gertrud Rogg vom DCV. „Wenn man sich einzelne Projekte anschaut, hat sich die Zahl der Ehrenamtlichen zuletzt sogar erhöht.“

Diese Beobachtung hat auch der Soziologe Serhat Karakayali gemacht. Zusammen mit seinem Kollegen Olaf Kleist will er in Kürze die nunmehr zweite Studie des BIM zu „Strukturen und Motive der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit“ veröffentlichen. Dazu haben sie mehr als 2 300 Helfer, Koordinatoren und Initiativen befragt. Obwohl das Papier noch nicht vorliegt, stehen die wichtigsten Trends fest: Die meisten Helfer in der Flüchtlingshilfe sind überdurchschnittlich gebildet. 80 Prozent haben Abitur oder Fachhochschulreife, rund 60 Prozent einen Studienabschluss. Auffallend ist zudem, dass die Mehrheit der Helfer entweder noch recht jung ist – zwischen 20 und 30 Jahre – oder bereits alt. Die mittlere Generation ist seltener engagiert.

„Die meisten Helfer sind junge Rentner“, bestätigt Rogg. Als Motiv für ihr Engagement geben fast alle Helfer humanitäre Gründe an, die sich teils aus dem christlichen Menschenbild speisten. Rund 75 Prozent wollen helfen, die Gesellschaft mitzugestalten. So bringt die Pädagogin Simone Walter ihr Engagement als Deutschlehrerin auf den Punkt: „Ich bin für Chancengleichheit. Nicht jeder Mensch hat das Glück, in Deutschland geboren worden zu sein.“ Nur 3,5 Prozent der Helfer sagen, sie versprächen sich davon berufliche Vor­teile.

Das wichtigste Ergebnis der Studie aber ist: Helfen tun überwiegend Frauen; ihr Anteil liegt laut BIM-Studie bei rund 70 Prozent. Beim Caritasverband sind sogar fast vier von fünf Ehrenamtlichen weiblich. Exakte Zahlen, wie viele Menschen genau sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren, gibt es allerdings nirgends.

Auch im Erzbistum Paderborn ist die Zahl der Ehrenamtlichen nicht genau bekannt. Von mehreren Tausend spricht der Diözesan-Caritasverband. Die Zahl der Haupt-
amtlichen in der Flüchtlingshilfe wurde auf 80 aufgestockt. Dazu fördert der Diözesan-Caritasverband 30 Projekte. Und auch aus dem Armutsfonds werden Initiativen unterstützt.

Meist jedoch haben die beteiligten Organisationen andere Sorgen, als Erhebungen durchzuführen. Zudem engagieren sich in diesem Bereich auch viele Menschen spontan, finden sich nur anlassgebunden über das Internet zusammen. Auch variiert das Engagement stark. Mal hilft jemand zwei, mal zehn Stunden in der Woche, mal eine Weile gar nicht. Auch der Bauer, der einmal pro Woche einen Zentner Kartoffeln zur Tafel bringt, ließe sich nur schwer erfassen, erklärt Rogg.

Nach einer Erhebung des Ins­tituts Allensbach arbeiten rund zwölf Millionen Menschen in Deutschland ehrenamtlich. Die DCV-Öffentlichkeitsreferentin schätzt, dass sich allein in ihrem Verband eine „sechsstellige Zahl“ von Freiwilligen um Flüchtlinge kümmert. Insgesamt kämen auf die rund 500 000 angestellten Caritas-Mitarbeiter ebenso viele Ehrenamtliche.

Fest steht laut der Maecenata-Studie, dass ohne die riesige Zahl der Freiwilligen die Aufnahme der seit Sommer fast 1,2 Millionen Flüchtlinge nicht gelungen wäre. Viele Behörden waren von dem Ansturm überfordert. Und so wurden staatliche Aufgaben kurzerhand von Freiwilligen übernommen. Sie sammelten Kleidung, gaben Essen aus, richteten Heime mit ein, begleiteten Flüchtlinge auf Behördengängen, zum Arzt oder gaben ihnen ersten Sprachunterricht.

Derzeit – und das bestätigen alle Beteiligten – professionalisiert sich die freiwillige Hilfe. Viele Menschen, die anfänglich spontan geholfen haben, oder sich über die Sozialen Medien zu losen Gruppen verbunden haben, schließen sich jetzt besser strukturierten und organisierten Verbänden an. Auch die Aufgaben in der Flüchtlingshilfe ändern sich. Während es am Anfang galt, die schlimmste Not zu lindern, geht es nun mehr und mehr um die Integration. „Da nimmt dann der eine den Flüchtling mit zum Fußballverein oder die Mädchen mit zur Tanzgruppe“, berichtet Gertrud Rogg.

von Andreas Kaiser

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