04.05.2016

Geist auf Beton

Gesprühte Ikone von Sergij Radkevych. Foto: Renovabis

Es ist nicht gerade ein herzerwärmendes Motiv, das einem Renovabis zum bevorstehenden Pfingstfest ins Gotteslob legt. Und wenn man liest, wo sich das Original des Kunstwerkes befindet, das auf dem diesjährigen Gebetszettel abgebildet ist, kriegt man erst recht das Frieren.

Irgendwo im heutigen Lviv, einst Lemberg, in der Ukraine, steht eine Bauruine, ein hohl gähnender Betonklotz in verlassenem Grau. Hier sollten mal Menschen einziehen, doch dazu ist es nie gekommen. Ein idealer Ort für Sprayer, und genau so jemand ist der junge Künstler Sergij Radkevych (28). In diesem Betonklotz im siebten Stock hat er die Ikone hingesprüht.

Eigentlich geht das nicht. Ikonen sprüht man nicht, man malt sie auch nicht, man schreibt sie und das ist ein sakraler Akt, nämlich eine Vergegenwärtigung des Dargestellten. Radkevych steht in der Tradition der Ikonen, er bedient sich ihrer Formensprache und nimmt zugleich das Vergegenwärtigen ernst, gerade zu wörtlich. „Der Glaube an Gott als den Schöpfer und an die Sakramentalität der Schöpfung fordern heraus, die Botschaft der Ikonen in die Welt zu tragen“, so hat er es dem Journalisten Rolf Bauerdick erzählt, der ihn für Renovabis besucht hat.

Das Motiv auf dem Gebetszettel zeigt 13 Köpfe, die wie eine Art Stammbaum einander zugeordnet sind. In der Mitte, gewissermaßen der Stamm, wächst eine Flammensäule, die Köpfe sind durch weiße Zacken miteinander verbunden. Der Untergrund Beton ist unverkennbar. Über allen Köpfen schweben winzige kleine Flammen. Die Gesichter, es sind die von Maria und der zwölf Apostel, zeigen nach Ikonenart keine Emotion, was für den westlichen Betrachter immer ein bisschen streng wirkt. Vor allem Maria blickt einen fast verhärmt an.

„Die Niederkunft des Heiligen Geistes“ heißt das Bild, das im Original 2,60 Meter hoch und 1,4 Meter breit ist, zu sehen im siebten Stock jenes leerstehenden Hochhauses, das einen frösteln lässt, am Rande der Millionenstadt Liviv, dem einstigen Lemberg. An diesem ungemütlichen Ort, wo keiner hinschaut? Dort ausgerechnet?

Ja, ausgerechnet dort!

„Komm herab, o Heiliger Geist, der die finstre Nacht zerreißt, strahle Licht in diese Welt“, so haben Marie-Luise Thurmair und Markus Jenny das uralte „Veni sancte spiritus“ einst übersetzt. Sergij Radkevych hat es gemalt, nein, vergegenwärtigt.

Claudia Auffenberg

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