26.02.2016

Der Grund unter dem Abgrund

Foto: Havlena / pixelio

Wer Boden unter den Füßen sucht, kann ihn in Jesus finden.

„Wir Menschen sind ein bodenloses Fass, solange wir nicht den Grund kennen.“ So lautet ein Satz von Simone Weil, eine der großen christlichen Frauen des 20. Jahrhunderts. 1909 als Jüdin in Paris geboren, verdrängte sie bald ihre jüdischen Wurzeln und war in jungen Jahren eine radikal bekennende Atheistin. Aber irgendwann zog es die Suchende in einen Gottesdienst der Benediktinerabtei Solesmes. Da traf sie wie ein Schlag die Erkenntnis: Der einzige Weg zum Menschen ist der Weg Jesu Christi. Denn es ist der Weg, der dich immer wieder zu den gestrandeten, unterpriviligierten und verzweifelten Menschen führt. Simone Weil gab ihren Beruf als Lehrerin auf und wurde – heute würde man sagen: Streetworkerin.

Nach unzähligen Begegnungen mit Arbeitslosen, obdachlosen Kindern und ärmsten Familien erkannte sie, dass die Menschen einem Fass ohne Grund gleichen. Sie versuchte mit unendlicher Geduld diesen Menschen zu vermitteln, dass Jesus der Grund unter ihren Abgründen sein will. Denn er hatte gesagt: Ich bin der Weg (unter eurem Leben). Wenn sie also fielen, dann könnten sie nur bis auf diesem Weg stürzen und fänden die Kraft, neu aufzustehen.

Im Evangelium dieses Sonntags trifft Jesus auf eine Frau, die auch einem „bodenlosen Fass“ gleicht. In der heißesten Zeit des Tages kommt sie zum Brunnen. Kein Mensch geht in Palästina um diese Zeit dorthin; nur solche, die sich bodenlos schämen, weil sie gescheitert sind.

Dieses Tabu durchbricht Jesus. Unter seine Augen darf sie sich trauen. Bewusst geht er um diese Tageszeit zum Brunnen. Denn er weiß ja, 12.00 Uhr mittags trifft er dort nur ausgegrenzte Menschen.

Er kommuniziert mit dieser Frau nicht moralisch, sondern nur verständnisvoll. Er sagt ihr quasi: ,Du hast Durst, aber nicht nur nach diesem Wasser im Brunnen, sondern Durst nach dem Quellwasser deiner Seele; jener Quelle, an die nur noch deine Tränen heranreichen. Dein Durst ist die Sehnsucht nach einem endlich glücklichen Leben. Immer bist du gescheitert. Aber jetzt hast du teil an meinem Leben. All deine Lebensbrüche werden geheilt. Unter meinen Augen findest du deine Würde zurück und die Chance neu anzufangen.‘ Für diese Frau wird Jesus Christus zum Lebensgrund und darum kann sie beginnen, gründlich zu leben.

Möchte man diesen Lebensgrund nicht vielen Menschen heute wünschen, die wie ein bodenloses Fass durchs Leben rollen, weil alle inneren Werte durch sie hindurch rauschen? Sinngemäß schrieb eine deutsche Wochenzeitschrift: „Vor allem junge Menschen schauen heute oft in die Abgründe einer grenzenlosen Medienvermüllung, Pornografisierung durch das Internet und Wohlstandsverwahrlosung. Den Erwachsenen möchte man raten: Zieht doch den Stecker raus und redet mit euren Kids über das, was das Leben wirklich wertvoll und sinnvoll macht, über die Werte von Persönlichkeitsentwicklung, Solidarität, Geschwisterlichkeit und Gottvertrauen.“

Was Simone Weil und der Samariterin geholfen hat, könnte für uns alle von Wert sein, nämlich ab und zu hinabzusteigen in den Brunnen, also in die Tiefe der Seele, Gott teilhaben zu lassen an unserem Kummer, der Trauer und den Tränen. Nicht erst, wenn es so richtig heiß wird in unserem Leben, sondern regelmäßig. Denn wir sind kein bodenloses Fass. Unser Lebensgrund heißt Jesus.

Msgr. Ullrich AuffenbergReferent für religiös-pastorale Bildung im Diözesancaritasverband und Subsidiar im pastoralen Raum Büren

inweis: In der Fastenzeit gibt es an drei Sonntagen alternative Lesesordnungen. Es kann also sein, dass in manchen Kirchen ein anderes Evangelium (nach Lk) verkündet wird.

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