06.06.2019

Weite Ohren

Foto: Joujou / pixelio

Die berühmte und in Lektoren­kreisen vielleicht auch berüchtigte Pfingstlesung aus der Apostelgeschichte endet im Gottesdienst mit dem Staunen der Einwohnerinnen und Einwohner Jerusalems. Wenn man in der Bibel noch weiterliest, wird klar, das ist kein ehrfürchtiges Staunen, sondern eher ein spöttisches.

von Claudia Auffenberg

Denn es kommt noch Folgendes: „Alle gerieten außer sich und waren ratlos. Die einen sagten zueinander: Was hat das zu bedeuten? Andere spotteten: Sie sind vom süßen Wein betrunken.“ Dann tritt Petrus auf und stellt klar: Niemand ist betrunken. Sein Argument: Es ist ja gerade mal neun Uhr morgens. Mit anderen Worten: Schaut euch mal die Gesamtsituation an. Und er verweist auf den Propheten Joël, dessen Worte nun Wirklichkeit werden. Mit anderen Worten: Ihr wisst es doch.

Kommunikation ist ein mühsames Geschäft und damit sie gelingt und somit zur Gemeinschaft beiträgt, braucht es ein gewisses Wohlwollen auf beiden Seiten: beim Sender, wie man sagt, und beim Empfänger. Auch der Zuhörer hat Verantwortung für eine gelingende Kommunikation. Er sollte darauf achten, wer in welcher Situation vor welchem Publikum spricht. Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Annegret Kramp-Karrenbauer ist die Bundesvorsitzende der CDU, sie war davor einige Jahre Ministerpräsidentin des Saarlandes. Man kennt sie also in diesem Lande, man kennt auch die CDU. Und man hat das Ergebnis der Europawahl mitverfolgt. Nun muss niemand weder die Partei noch die Frau mögen. Man muss sich mit ihr und den anderen in Berlin kritisch auseinandersetzen, das ist das Wesen der Demokratie, aber ist es richtig, den anderen gleich einer Art säkularer Häresie anzuklagen, konkret, ihr vorzuwerfen, sie sei gegen Artikel 5 des Grundgesetzes, die Pressefreiheit?

Journalisten sind zu Rrecht empfindlich, wenn sie einen Angriff auf die Pressefreiheit wittern. Das Recht, seine Meinung frei zu äußern, ist entscheidend für die Demokratie. Um sie zu gewährleisten, tragen die Journalisten in diesem Land selbst die Verantwortung dafür, dass es in ihren Reihen einigermaßen anständig zugeht. Dazu dient der Pressekodex, publizistische Grundsätze in 16 Ziffern. Möge also der Heilige Geist an diesem Pfingsten nicht nur die Zungen lösen, sondern auch die Ohren weiten.

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