17.04.2019

Was hat Gott gegen Ägypten?

Foto: Nicolai Steinkamp / pixelio

Sieben Lesungen aus dem sogenannten Alten Testament sind für die Osternacht vorgesehen. Aus pastoralen Gründen kann man auf drei reduzieren, aber ausgerechnet die vom Auszug aus Ägypten muss bleiben.

von Egbert Ballhorn

Für viele, die die Osternacht mitfeiern, ist die Lesung aus dem Buch Exodus ein Stein des Anstoßes: Warum kann die Rettung nur geschehen, indem die Ägypter in den Fluten ertrinken? Auf den ersten Eindruck wirkt die Erzählung wie ein Kampf Israels gegen Ägypten, an dessen Ende die unterlegene Partei grausam vernichtet wird mit Billigung und Unterstützung Gottes.

Bei sorgfältiger Lektüre erhält der Text ein ganz anderes Gesicht. Das Machtverhältnis ist absolut asymmetrisch. Israel ist ein wehrloses, verschrecktes Flüchtlingsvolk aus Männern, Frauen und Kindern, die nichts anderes wollen, als dem Land der Unterdrückung zu entfliehen. Ihnen steht die hochgerüstete Militärmacht Ägypten gegenüber, die sie in den Tod treiben will. An den meisten Stellen heißt es nämlich nicht „die Ägypter“, sondern „Ägypten“. Leider hat auch die neue Einheitsübersetzung das nicht berücksichtigt. Die kollektive Größe Ägypten wird im Text sprachlich als Todesmacht inszeniert, nicht als Gruppe von Individuen. Auch der Pharao ist ein namenloser Funktionsträger der Macht. Unter ihm stehen seine Kriegsinstrumente. Pferdegezogene Kriegswagen waren militärische Hochtechnologie des Alten Orients, ein wirksames Mittel, feindliche Soldaten zu überrollen – und hier wehrlose Flücht­linge.

Für Israel gab es keinen Ausweg: Vor ihnen der Tod durch das Wasser, hinter ihnen der Tod durch „Ägypten“. Keine andere Möglichkeit. An dieser Stelle tritt Gott ins Spiel und verändert alles. Was tut er? Er teilt das Meer. Zu beiden Seiten steht das Wasser des Todes, und in der Mitte ist trockenes Land, ein Raum, in die Freiheit zu gehen. Dieses Rettungswunder ist das Ur-Ereignis der Geschichte Israels. Gott schafft einen Ausweg, wo nach menschlicher Erfahrung eigentlich nur Tod sein müsste. Das ist der entscheidende Punkt. Gott kämpft, Israel tut nichts, es ist staunender, passiver Zeuge eines Wunders (Ex 14,14). Gott tritt in die Welt und streitet für das Leben – gegen den Tod. Auch hier wird deutlich, dass es nicht um eine militärische Schlacht geht, sondern um das Wunder des Lebens, das den Tod besiegt. Die lebensfeindliche Macht geht im Chaos unter – wo sie hingehört

Leider fehlen im Lesungstext der Osternacht ausgerechnet die entscheidenden Verse, die das Geschehen verständlich machen (Ex 14,13 f.). „So wie ihr Ägypten heute seht, so seht ihr sie nie wieder.“ Damit ganz klar wird, dass es sich bei dieser Erzählung nicht um ein Modell für künftige Kriegsführungen handelt, sondern um ein einmaliges Ereignis, aus dem es gilt, ein für allemal zu lernen: Gott ist der Gott des Lebens, und er rettet sein Volk aus dem Tod. Das ist Ostern. Die Grundüberzeugung des Glaubens vom lebensfreundlichen Gott wird an diesem einmaligen Ort erfahrbar, und sie muss ausreichen, um allen künftigen Generationen die Hoffnung zu erhalten, dass nicht Vernichtung und Tod das letzte Wort haben werden, sondern Leben und Freiheit.

 

 

Zum Autor:

Professor Dr. Egbert Ballhorn ist seit 2012 Professor für Exegese und Theologie des Alten Testaments an der TU Dortmund.

 

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