01.12.2017

Paderborn als Langzeitprojekt

Die Fotografie ist mehr als ein Hobby: Ulrich Vog hat nicht nur historische Fotos, sondern auch die Kameras jener Zeit gesammelt. Hier hält er eine Kodak Retina aus den 1930er-Jahren in den Händen. Foto: Flüter

Paderborn. Rechtzeitig zum Weihnachtsfest ist der opu­lente Bildband „Paderborn in Farbe“ des heimischen Autors und Fotografen Ulrich Vogt im Bonifatius-Verlag Paderborn erschienen.

von Karl-Martin Flüter

Dass er einen Großteil seines Berufslebens als Volksschullehrer verbracht hat, ist Ulrich Vogt noch im Alter anzumerken. Der 76-Jährige lebt sein Interesse an seiner Umgebung und den Menschen um ihn herum aus – und das was ihm auffällt, erklärt er gerne und gut. Genau solche „Aufklärer“ für die Bevölkerung sollten ja Volksschullehrer sein, die bis in die 1960er-Jahre die Bildungsgrundversorgung in den „Volksschulen“ übernahmen.

Diese pädagogische Neigung und Begabung hat dazu geführt, dass Ulrich Vogt mehrere Bücher geschrieben hat, oft mit dem Blick auf seine Heimatstadt Paderborn. Jetzt ist das neueste Werk in dieser Reihe Vogtscher Liebeserklärungen an Paderborn erschienen – und dieses Buch, so sagt der Autor selber – stellt den „Höhepunkt“ in seinem Schaffen dar. Es handelt sich um den opulenten Bildband „Paderborn in Farbe. Fotoschätze aus mehr als 100 Jahren“.

Das Wort „Schatz“ taucht nicht ohne Grund im Untertitel auf. Genau 532 Fotos finden sich auf den 192 Seiten. Die Kapitel, in denen dieses Material geordnet ist, gliedern sich nach den verschiedenen Bereichen der Paderborner Innenstadt. „Wege durch die Stadt“ nennt Ulrich Vogt dieses Ordnungsprinzip. Er führt uns beispielsweise vom Haupt­bahnhof zum Westerntor, rund um das Paderborner Rathaus und den Dom, durch das Paderquellgebiet und entlang der Pader mit seinen ehemaligen Mühlen und Brauereien.

Ein Kapitel widmet sich dem verschwundenen Viertel „Ikenberg“ unterhalb der Bartholomäuskapelle, das nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg nicht mehr aufgebaut wurde und – wie sich Jahrzehnte später herausstellte – auf den Ruinen der karolingischen Kaiserpfalz stand.

Neben der ortsbezogenen Orientierung ordnet Ulrich Vogt die Stofffülle chronologisch. Die Fotos in den einzelnen Kapiteln sind nach ihren Entstehungsdaten sortiert.

Bis auf wenige Ausnahmen beginnt der Bilderreigen mit Abbildungen aus den 1930er-­Jahren, gefolgt von den Fotos vom zerstörten Paderborn nach 1945, dem Wiederaufbau in den 1950er-Jahren und der stetigen Umwandlung der Innenstadt, bis auf den Bildern das moderne Paderborn der Gegenwart auftaucht.

Ulrich Vogt, auch hier ganz Pädagoge, hat aus seinem Buch ein groß angelegtes Projekt gemacht, das sich über mehrere Jahrzehnte hinweg erstreckt. Er sei immer wieder an dieselben Orte gegangen, um die Veränderung dort zu dokumentieren, erzählt er.

Historische Qualität erhält der Band jedoch vor allem durch die Fotos, die zu einem großen Teil durch familiäre Verbindungen in den Besitz des Autors gelangt sind. Es handelt sich um das Bildarchiv seines Schwiegervaters Josef Stratmann.

Der Geschäftsmann aus der Bahnhofstraße begann Ende der 1930er-Jahre, Farbfotos von seiner Heimatstadt aufzunehmen. Damals waren die ersten Farbfilme auf den Markt gekommen und Josef Stratmann – wie sein Schwiegersohn offenbar ein Fotografie-Besessener – hatte sich diese Technik sofort angeeignet.

Zusätzlich hatte Ulrich Vogt Zugriff auf eine zweite Sammlung mit Farbdiapositiven aus der Anfangszeit der Farbfotografie. Es handelt sich um Aufnahmen von Ferdinand Sieweke, ebenfalls ein Paderborner Geschäftsmann jener Zeit. Außerdem konnte Ulrich Vogt weitere Quellen nutzen, vor allem den Bestand des Stadt- und Kreisarchivs Paderborn. Dort hatte er Zugriff auf die Schwarz-Weiß-Fotos der Sammlung Michels, bis heute eine unersetzliche Dokumentation von Stadtansichten in den 1930er-Jahren.

Ulrich Vogt wäre nicht Ulrich Vogt, wenn er es bei einem bloßen Bildband belassen hätte. Sein Buch beginnt mit einem Rückblick auf das Paderborn im Jahr 1937, als die ersten Farbfotos entstanden. In diesem Eingangskapitel schlägt er den Bogen bis in die Jetztzeit und verweilt dabei mit einiger Ausführlichkeit bei den verheerenden Bombenangriffen auf Paderborn im Januar und März 1945.

Ulrich Vogt war 1945 ein kleiner Junge. Das Kriegsende erlebte er im ebenfalls bombardierten Soest. Bis heute trägt er die Erinnerung an diese Bombenangriffe mit sich herum. Er selbst wurde verschüttet, konnte sich befreien und floh durch die brennenden Straßen Soests aus der Stadt. Die Bilder, die sich damals in seinem Kopf festbrannten, beschäftigen ihn immer wieder. Das Trauma scheint ihn nicht loszulassen; bewältigen kann er es nur, indem er darüber schreibt und Dokumente sowie Fotos aus jener Zeit sucht. Vor allem die Bilder von den Paderbornern, die in der Trümmerwüste mit dem Wiederaufbau beginnen, sind ihm offenbar wichtig: als Zeichen dafür, dass auch dieser Schrecken die Widerstandskraft der Menschen nicht erschüttern konnte.

Auch wegen dieser persönlichen Motivation ist Ulrich Vogts umfangreichstes und – wie er meint – wichtigstes Buch ein Langzeitprojekt: Es ist der Versuch, die schrecklichen Erinnerungen, die auch noch nach 72 Jahren lebendig sind, zu beruhigen. Ganz vergessen wird Ulrich Vogt sie niemals.

Hier geht es zur Buchseite des Bonifatius-Verlages.

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