26.07.2018

Nachhaltige Konzepte gefragt

Ahmad Elias arbeitet im Projekt „Jobscreening“ der Malteser Werke in Hamm. Dabei erhalten Geflüchtete wichtige Informationen rund um Arbeit, Ausbildung und das Sozialsystem. Foto: Malteser/Tobias Haubert

Erzbistum. Als die Flüchtlingszahlen ab Sommer 2015 stiegen, waren auch die Malteser zur Stelle und haben geflüchtete Menschen mit Herz und Hand in ihre Mitte genommen. Seit vielen Monaten sind die Zahlen rückläufig – und langfristige und nachhaltige Konzepte zur Integration sind gefragt. Eine Reise quer durch das Erzbistum Paderborn.

Orientieren

Erste Station: Paderborn. Hier gibt Susanne Günter vom Malteser Hilfsdienst sogenannte Erstorientierungskurse. Wie lange dauert es, mit dem Bus von Hövelhof nach Salzkotten zu fahren – oder nimmt man besser die Bahn? Welches Verkehrsmittel ist günstiger? Fragen, die sich Einheimische mit einem Blick auf Fahrpläne und Tarife schnell erschließen können. Aber wie geht es jemandem, der weder die deutsche Sprache noch den regionalen Nahverkehr mit all seinen Besonderheiten versteht?

„Orientierung vor Ort, Verkehr und Mobilität“ ist nur einer von insgesamt sechs Themenblocks, die die Malteser im Rahmen ihres Erstorientierungskurses (EOK) für Flüchtlinge mit unklarer Bleibeperspektive vermitteln. Zielgruppe sind Asylbewerber, die bereits einen Asylantrag gestellt, aber noch keinen Bescheid erhalten haben – oder bei denen aufgrund ihrer Nationalität nicht sicher ist, ob ihr Antrag positiv beschieden wird.

Susanne Günter leitet den Kurs, der insgesamt 300 Unterrichtseinheiten umfasst. Seit Februar 2017 besuchen im Schnitt 10 bis 15 Geflüchtete mit unterschiedlicher Vorbildung und Herkunft den Kurs. Sie treffen sich an drei Vormittagen in den Räumen des Integrationsbüros in der Bahnhofstraße 27a. Die Teilnehmer kommen unter anderem aus Nigeria, der Mongolei, dem Liba­non und Afghanistan.

Ihr Lehramtsstudium helfe, berichtet Susanne Günter, dennoch fange man bei den meisten Dingen ganz von vorne an. Insbesondere bei der Wertevermittlung. Ein Thema, das auch dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als Finanzierer der Kurse besonders wichtig ist. So ist einzig das Modul Wertevermittlung verpflichtend. Fünf weitere Bereiche wählen die jeweiligen Kursleiter aus. Da geht es um Arbeit, Einkaufen oder Mediennutzung, Gesundheit und medizinische Versorgung sowie um Wohnen und den Alltag in Deutsch­land.

„Die Kursteilnehmer nehmen jede Information, jede Hilfestellung dankbar an. Besonders, weil wir hier so praxisnah arbeiten. Wir gehen dann gemeinsam zum Bahnhof, studieren den Fahrkartenautomat oder holen uns Infos am Serviceschalter“, schildert Susanne Günter beispielhaft einen Ausflug. Unterstützt wird sie einmal die Woche von Fatih Yagar. Als Malteser-­Bildungspate springt er neben seinem Lehramtsstudium ehrenamtlich als Co-Teacher ein. Fatih Yagar ist wie Susanne Günter bereits seit 2016 in der Flüchtlingshilfe tätig und hat durch seinen eigenen Migrationshintergrund und zusätzliche Sprachkenntnisse einen guten Zugang zu den Teilnehmern.

Arbeit finden

Weiter geht die Reise nach Hamm. Hier arbeitet Ahmad Elias, 34, syrischer Kurde, im Projekt „First Step – Jobscreening“ der Malteser Werke. Ende 2013 aus Syrien geflohen, hatte er einen denkbar schlechten Start in Deutschland. Daheim studierter Jurist mit einem Master in internationalem Recht, stellte er in einer Kleinstadt in Thüringen seinen Asylantrag. Dann hieß es warten. Fast sieben Monate verbrachte Ahmad Elias dort, in einem kleinen Zimmer, in einem zur Unterkunft umfunktionierten alten Krankenhaus. Damals hatte er keinen Betreuer, der ihm beim komplizierten Asylverfahren zur Seite stand, keine Möglichkeit, einen Sprachkurs zu belegen. Für ihn vergebene Zeit. Dabei wollte er doch nur schnellstmöglich die Sprache lernen, Arbeit finden – und irgendwann seine Doktorarbeit weiterschreiben.

Seine berufliche Heimat findet er schließlich bei den Maltesern in Hamm. Die eigene Erfahrung motiviert ihn jetzt, den Integrationsprozess besser zu gestalten: „Mit dem Jobscreening geben wir Informationen zu Ausbildungsmöglichkeiten und Berufsperspektiven in Deutschland an geflüchtete Menschen weiter. Außerdem erstellen wir gemeinsam einen Lebenslauf.“ Ziel des 2015 gestarteten Programmes: Geflüchtete ab 16 Jahren sollen schnellstmöglich in die Lage versetzt werden, sich bei einem Arbeitgeber zu bewerben. Ein weiteres Ziel: Komplikationen bei anstehenden Arbeitsagentur­terminen werden gemindert. Dafür bieten die Malteser direkt in den Landesunterkünften einen geschützten Raum, in dem es leichter ist, über Kompetenzen oder noch fehlende Fähigkeiten zu sprechen.

„Wir erklären den Menschen in einer Informationsveranstaltung, was auf sie zukommt. Wichtig ist mir, dass wir nicht nur Lebensläufe erstellen, sondern Entwicklungsmöglichkeiten aufzeigen – Wege zur sprachlichen und beruflichen Integration.“ Die Veranstaltungen werden mittels einer Präsentation strukturiert und unterstützt. Bilder und Symbole vermitteln bestmöglich und niederschwellig das Bildungs- und Arbeitssystem.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Das „Jobscreening“ stärkt Geflüchtete in ihrem Selbstbewusstsein, indem sie die Möglichkeit erhalten, über ihre Potenziale zu sprechen – was grundsätzlich ihre Biografie anerkennt. Menschen werden so nicht primär über die Fluchterfahrung definiert. Das Projekt knüpft direkt an persönliche Ressourcen an und macht ein Angebot, diese (wieder) zu erkennen und da­raus Kraft zu ziehen.

Berührungsängste abbauen

Die dritte Etappe führt in den Norden Dortmunds. Dort treffen sich einmal die Woche junge geflüchtete Männer. Sie kommen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak – was sie alle eint, ist das Interesse an Fußball. Seit August 2017 treffen sie sich immer donnerstags zum Kicken in der „Soccer City“, einem lokalen Fußballplatzanbieter. Organisiert haben das Angebot einige Lotsen des Malteser Integrationsdienstes.

„Teamfähigkeit, Respekt und Toleranz – beim Sport wird ein Miteinander erprobt“, sagt Koordinatorin Simone Streif. Beim Kicken in der „Soccer City“ steht das Miteinander im Fokus. Denn bei diesem Mannschaftssport kann nur gewinnen, wer gemeinschaftlich agiert. Und das bedeutet: Jeder Einzelne zählt! Wer am Spielfeldrand steht, spürt förmlich, wie viel Spaß die Geflüchteten und die Lotsen haben.

„Alle sind freundlich zuei­nander und alle wollen neue Leute kennenlernen. Wir können noch nicht so gutes Deutsch, aber hier können wir auch miteinander auf Deutsch sprechen“, sagt ein Teilnehmer. Und ein anderer junger Mann ergänzt: „Ich bin ja jetzt noch nicht so lange dabei, aber ich muss sagen, dass ich mit offenen Armen empfangen worden und schnell zum Teil der Gruppe geworden bin. Man freut sich jedes Mal wieder darauf, die anderen beim nächsten Mal wieder zu sehen und eine Runde zu kicken.“

„Was besonders Spaß macht ist, zu beobachten, wie die Gruppe sich entwickelt (hat). Es sind viele neue Freundschaften entstanden“, sagt Ini­tiator Julius Kiso, Integrationslotse der Malteser. „Sowohl zwischen den Flüchtlingen und uns als auch zwischen den jungen geflüchteten Männern. Jede Woche aufs Neue freuen wir uns, die beständige Gruppe aus bis zu 15 Spielern mit Handschlag und Umarmung zu begrüßen. Besonders bemerkenswert ist außerdem der Ehrgeiz auf dem Platz. Trotzdem stehen bei uns Fairness und Teamgeist an erster Stelle. Das verkörpert die ganze Mannschaft.“ Sein persönliches Highlight? „Als die Geflüchteten ein Geburtstagslied auf Arabisch für meinen Lotsenkollegen Oliver angestimmt haben – das war sehr berührend.“

Simone Streif resümiert das Projekt: „Das Fußballteam zeichnet sich dadurch aus, dass so viele Ehrenamtliche mitwirken, was den integrativen Charakter deutlich erhöht. Vorbehalte und Vorurteile, die es durchaus in den Geflüchteten-Communitys gibt, spielen hier keine Rolle. Falls es zu Foulentscheidungen kommt, werden diese akzeptiert.“ Die Spielweise sei zwar kraftvoll und energiegeladen, aber nicht aggressiv, sodass es bislang keine Verletzungen, sondern nur ein paar blaue Flecken gegeben hat. „Es macht auch keinen wirklichen Unterschied, wer gewinnt, am Ende klatschen sich alle ab.“

Gemeinsam Spaß haben

Letzte Station: Meschede-­Eversberg. Den kleinen Ball mit wenigen Schlägen ins Ziel zu bringen, durch all die Hindernisse, das ist gar nicht so einfach. Auch nicht für die neunjährige Ghzal. In 2015 ist sie mit ihren Eltern aus Syrien geflohen. Ghzal ist eines von 24 geflüchteten und einheimischen Kindern, die beim großen internationalen Minigolfturnier auf dem Platz in Meschede-­Eversberg antreten. Wie die meisten Teilnehmer mit Fluchterfahrung hat ­Ghzal noch nie Minigolf gespielt.

Fast jedes Kind mag Minigolf – weshalb der Sport als Hilfsmittel der Integration gut geeignet sei, sagt Elke Milosevic vom Malteser Integrationsdienst. Gemeinsam mit den Pfadfindern Meschede-­Eversberg hat sie das Turnier organisiert. Alle Teilnehmer sind an diesem Tag mit Eifer bei der Sache – trotz der sommerlichen Temperaturen. Und als es am Ende noch ein Buchgeschenk für alle Teilnehmer gibt, sind erst recht alle begeistert von dem schönen Tag. Ein Tag, bei dem Spaß und Miteinander im Fokus stehen, und der mit einem kleinen internationalen Fest für die Turnierspieler, ihre Geschwister und Eltern ausklingt. „Wir freuen uns darüber, dass heute viele neue Kontakte entstanden sind und unsere jungen Teilnehmer ganz nebenbei noch ihre Deutschkenntnisse verbessern konnten“, so Elke Milosevic.

0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anschauen