21.03.2018

Lebenswerk eines Kuhhirten

Die X. Station: „Jesus wird seiner Kleider beraubt“. Foto: Nückel

Brilon-Assinghausen. Einer der schönsten Kreuzwege im Erzbistum Paderborn ist der historische Kreuzweg im sauerländischen Assinghausen. Er wurde vor 160 Jahren eingeweiht.

von Matthias Nückel

Leicht ist er nicht zu gehen, der Kreuzweg in Assinghausen. 1 300 Meter ist er lang. Bis zur IX. Station zieht er sich durch das Schirmecketal, doch dann geht es steil bergan auf den Schirmberg. Insgesamt 130 Höhenmeter sind zu überwinden, bis der Beter die Kreuzigungsgruppe erreicht.Der Ausgangspunkt des Assinghauser Kreuzweges ist die „Kapelle des Blutschwitzenden Heilandes“. Diese Andachtskapelle soll einstimmen in das besondere Geschehen des Karfreitags vor fast 2 000 Jahren.

Gegenüber der I. Station liegt die sogenannte Lourdesgrotte in einem kleinen Park mit einem Springbrunnen, der von der früheren Assinghauser Trinkwasserversorgung gespeist wird. Die Lourdesgrotte ist etwa fünf Meter hoch und besteht aus Quarzsteinen. In einer Nische steht die aus Holz geschnitzte etwa 1,50 Meter große Madonna mit einem Kranz aus zwölf Sternen. Diese Grotte wurde wahrscheinlich etwa 35 Jahre nach den Erscheinungen in Lourdes errichtet, die im Jahr 1858 stattfanden, in dem auch der Kreuz­weg mit seinen 14 Stationen eingeweiht wurde.Die Darstellungen der einzelnen Szenen des Kreuzweges sind dem sogenannten Nazarener Stil zuzuordnen, der in der Mitte des vorletzten Jahrhunderts insbesondere im süddeutschen Raum anzutreffen war. Daraus kann geschlossen werden, dass die Original-Reliefs in Assinghausen aus Süddeutschland stammen.

Die Assinghauser Stationsbilder zeichnen sich gegenüber anderen Kreuzwegen dadurch aus, dass sie von einem wirklichen Künstler im Jahre 1934 nachträglich farbig gefasst wurden, nämlich vom Kirchenmaler Franz Kaup aus Rösenbeck bei Brilon. Kaup war ein Schüler des aus Assinghausen stammenden Kunst- und Kirchenmalers Joseph Guntermann (1856 bis 1932).

Trotz eines Schutzes durch eiserne Türchen litten die Bilder unter den Witterungsbedingungen im Sauerland. Daher wurden sie Anfang der 1980er-Jahre mit klarem Kunststoff überstrichen, was sich allerdings verheerend auf die Farbigkeit der Stationsbilder auswirkte. Ende der 1990er-Jahre waren alle Stationsbilder nur noch braun. Mit der Herstellung der ursprünglichen Farbgebung wurde der Fassmaler Viktor Senoner aus St. Ulrich in Südtirol beauftragt. Dieser ist auf die Restaurierung von Flügelaltären mit ihrer sogenannten Tafelmalerei spezialisiert. Die Stationsbilder wurden bis auf den Grund gereinigt und anschließend farbig neu gefasst.Die restaurierten Original-­Stationsbilder wurden anschließend in der Kirche St. Katharina aufgehängt. Von den Originalen wurden Aluminium-Abgüsse angefertigt, farbig gefasst und dann in den Stationsgehäusen im Wald aufgehängt.

Eine Besonderheit des Assinghauser Kreuzweges besteht darin, dass die Stationsbilder in den Stationsgehäusen durch ein Türchen gegen Witterungseinflüsse geschützt sind. Das eiserne Türchen der XIII. Station gehörte früher zu denen, die an der unteren Ecke etwas aufgebogen waren, sodass für schlanke Vögel wie Meisen und Grasmücken die Möglichkeit bestand, hindurchzuschlüpfen und sich in der Station ihr Nest zu bauen.

Für die Kinder des Dorfes bestand so die einfache Möglichkeit, den Werdegang eines Vogels vom Ei bis zum Flüggewerden auf einfache Art und Weise zu verfolgen. Bei den heutigen Türen ist dies nicht mehr möglich.Die Stationsgehäuse bestehen aus fünf Einzelteilen aus grünlichem Rüthener Sandstein – und zwar aus dem Sockel, auf dem das Unterteil mit der eingemeißelten Zahl der Station ruht, einem Zwischenstück, auf dem der Aufsatz mit der Öffnung für das Stationsbild steht, und einer geschwungenen und mit zwei Kreuzblüten versehenen Abdeckung. Auf dem höchsten Punkt dieser Abdeckung befindet sich ein Kreuz aus Eisenblech.

Vor dem Stationsgehäuse ist in den Boden eine Sandsteinplatte eingelassen, auf der in früheren Zeiten so mancher Gläubige gekniet hat, um innig im Gebet den Leidensweg Christi nachzuvollziehen.

In unmittelbarer Nähe der XII. Station ragen drei mächtige Kreuze aus dem Boden, gegen den unmittelbaren Einfluss der Witterung geschützt durch ein Dach – die Kreuzigungsgruppe. Die Figuren stammen aus dem Grödnertal in Südtirol, wie eine Rechnung ausweist, die sich im Pfarrarchiv befindet. Die Kreuzigungsgruppe wurde im Jahre 1859 errichtet.

Ganz in der Nähe der XIV. Station steht die beeindruckende Grabeskapelle. Über deren Bau wurden bisher keinerlei Aufzeichnungen gefunden. Klaus Haaben beruft sich in der Geschichte des Kreuz­weges auf Erinnerungen von Marita Ferch aus Assinghausen an ihre Mutter. Die habe ihr erzählt, dass die Grabeskapelle vom aus Assinghausen stammenden Bauunternehmer Guntermann Ende des vorletzten Jahrhunderts gebaut worden sei.

An der Stirnseite der Kapelle befindet sich die Darstellung der Grabesruhe Christi. Jesus ruht mit gelöstem Gesicht ausgestreckt auf seinem Bett, links und rechts flankiert von zwei ernst dreinblickenden Soldaten und zwei Engeln.

Die Engel tragen die Werkzeuge, mit denen Jesus auf seinem Leidensweg konfrontiert wurde: die Dornenkrone, den Stab mit dem in Essig getränkten Schwamm, die Geißel, die Nägel und die Lanze, mit der schließlich seine Seite geöffnet wurde, um seinen Tod festzustellen.

Dass es in Assinghausen diesen besonderen Kreuzweg gibt, war das Lebenswerk des Kuhhirten Adam Leonhard, der sein Geld und seine Arbeitskraft in den Bau des Kreuz­weges steckte.

Die Geschichte beginnt im Jahr 1854. In diesem sowie den drei folgenden Jahren wurden nach den Aufzeichnungen von Adam Leonhard „die Dienstägige Andacht des heiligen Antonius mit Segen und Hochamt gehalten“. Weiter berichtet der Gemeindehirte: „Zu diesem Zweck haben die Ehefrauen freiwillig viele ihrer Gaben gespendet. Die Einnahme war in vier Jahren 64 Thaler und 21 Silbergroschen.“ Nach Abzug der Ausgaben für Messopfer, Lichter und Anstrich des heiligen Antonius blieb ein Rest von 25 Thalern und 24 Silbergroschen, die für den Kreuzweg verwendet wurden. „Mit diesen Ausführungen fängt eine interessante und wertvolle Geschichte an, nämlich die Geschichte vom Bau des Kreuzweges in Assinghausen“, schreibt Klaus Haaben in einer Abhandlung zum 200. Geburtstag von Adam Leonhard.

Dieser wurde am 20. März 1811 als Franz Adam Lennart geboren. Er blieb Junggeselle und änderte in seinen Aufzeichnungen den Namen. Was ihn dazu bewogen hat, sich Adam Leonhard zu nennen, ist unklar. Klaus Haaben vermutet, dass sich Leonhard mit seiner Familie überworfen hat, weil er so viel Geld für den Kreuzweg ausgab, dass im Erbfall für die Familie nichts mehr übrig blieb.Die Anregung zum Bau des Kreuzweges kam laut Haaben vermutlich von Landdechant Dr. Anton Grimme, der aus Assinghausen stammte. Für diese These spricht, dass die Spenderliste mit den Namen der Familie Grimme beginnt.

Leonhard, der am 12. September 1866 im Alter von 55 Jahren starb, war nach den Worten Haabens „ein Glücksfall für die Gemeinde Assinghausen“. Denn er setzte sich nicht nur für den Kreuzweg ein, sondern ließ auch die „Kapelle des Blutschwitzenden Heilandes“ errichten, die am Fuß des Kreuzweges steht. Über alle Einnahmen und Ausgaben legte der Gemeindehirte in einem kleinen Notizbuch Rechenschaft ab. Franz Hesse hat in den 1980er-Jahren in diesem Notizbuch von Adam Leonhard ergänzt: „Er hat uns sein Lebenswerk hinterlassen und für uns die Verpflichtung, den Kreuzweg zu pflegen und zu unterhalten für spätere Generationen.“ Diesem Auftrag kommt der gemeinnützige Verein Aktion Kreuzweg Assinghausen e. V. heute noch nach. Die Pflege des Kreuzweges ist in der Satzung festgeschrieben. Da­rüber hinaus soll der Verein die Erinnerung an Adam Leonhard und an das Lebenswerk des Malers Joseph Guntermann wachhalten.

Der Kreuzweg wird am Karfreitag um 10.00 Uhr gegangen.

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