28.02.2018

Hinter die Kulissen schauen

Das Sichtbare wahrnehmen, das Unsichtbare erahnen … Eines der Frühwerke des Verhüllungskünstlers Christo: Three Store Fronts (Drei Schaufenster). Es war Anfang des Jahres auf der Kunstmesse Brafa in Brüssel zu sehen. Foto: dpa

Das Sichtbare wird im Glauben transparent für das Unsichtbare, für den unsichtbaren Gott.

von Reinhard Bürger

„Der Eifer für die Gotteshäuser verzehrt mich“, so könnte ich als Verantwortlicher für sechs Kirchen in unseren beiden Pastoralverbünden sagen. Tatsächlich geht unendlich viel Energie der Verantwortlichen in den Erhalt und die Gestaltung unserer sakralen Gebäude. Handwerker, Architekten, Künstler, Hausmeister und ehrenamtlich Mitarbeitende müssen motiviert und koordiniert werden, damit die Gebäude „in Schuss“ bleiben. Wie empfindlich dieses Thema ist, konnte man anlässlich des kürzlich erfolgten Abrisses des „Immerather Domes“ erleben, der dem Tagebau im Rheinland weichen musste. Viel Geld wenden die Gemeinden auf, um ihre Gotteshäuser zu erhalten.

Der Eifer der heutigen Verantwortlichen wird aber heftig überboten vom Zorn Jesu, der im Jerusalemer Tempel recht handgreiflich wird bis hin zur Körperverletzung – so kennt man ihn eigentlich nicht. Ihm geht es auch nicht um den Tempel als Architekturdenkmal, sondern um den Tempel als den Ort, an dem Gott erfahrbar wird. So bekommt dieses Bauwerk seine Legitimation; es ist transparent auf den unsichtbaren Gott hin. Er ist mehr als eine gekonnte Ansammlung von Steinen, sondern Sehnsuchtsort für viele glaubende Menschen. Er ist das Ziel der Wallfahrer. Die Menschen suchen und besuchen den sichtbaren Ort, um dem unsichtbaren Gott nahe zu sein. Der Tempel ist den Pilgern nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch ein Dach für ihre Seelen. Die vordergründige Geschäftemacherei dagegen pervertiert die Suche der Menschen.

Der Evangelist bietet seinen Lesern und Hörern dagegen einen Blick hinter die Kulissen des Gebäudes: er deutet das Sichtbare in einem sehr rätselhaften Vergleich auf den Tod und die Auferstehung Jesu hin. Oder anders herum: das, was ich nicht begreifen kann, wird durch ein solches Bild greifbar; das Gleiche gilt auch für das Gleichnis vom Weizenkorn. Das Sichtbare wahrnehmen, das Unsichtbare dadurch erahnen.

Ich werde erinnert an die Berufung des heiligen Franziskus von Assisi: „Franziskus, siehst du nicht, wie meine Kirche zusammenfällt. Geh hin und baue sie wieder auf.“ So vernimmt er zunächst den Ruf Gottes und er beginnt, das baufällige Kirchlein wieder aufzubauen. Erst später geht ihm auf, dass mit diesem Auftrag die mittelalterliche dekadente Kirche gemeint ist. Er muss durch das Vordergründige hindurch auf das eigentlich Lebendige. Die toten Steine eines Bauwerks weisen hin auf die lebendigen Steine, die Glieder der Kirche. Es braucht aber für Franziskus seine Zeit, um hinter die Kulissen zu blicken. Er belebt die Kirche seiner Zeit mit neuen Impulsen und neuer Begeisterung. Geschwisterlich will er leben und ganz konsequent an Jesus Maß nehmen und ihm folgen. Der Eifer für das Haus Gottes aus lebendigen Steinen hat ihn verzehrt – da ist Franziskus ganz in der Spur Jesu.

Auch in unseren Tagen haben viele Menschen ein Haus Gottes, das ihnen persönlich wichtig ist, weil sie damit ihre Lebensgeschichte verknüpfen: eine beeindruckende Kathe­drale, die bescheidene, vertraute Heimatkirche oder einen anderen Bau, der das Geheimnis des Lebens darstellt und die Frage nach Gott zulässt.

Für Jesus war der Tempel ein Verweis auf den Vater. Dort war er als Säugling hereingebracht worden: hier hatte er als junger Mensch mit den Lehrern diskutiert. Schließlich hatte es ihn als Erwachsenen wieder hier hingezogen. Und die Menschen jüdischen Glaubens heute gehen immer noch zum Tempel – oder zu der Mauer, die davon noch steht. Aber es gibt noch viele andere Orte, die den lebendigen Gott erahnen lassen.

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