13.05.2016

„Die Zeichen der Zeit erkannt“

Prof. Peter Schallenberg

Erzbistum. Vor 125 Jahren erschien mit „Rerum Novarum“ die erste Sozialenzyklika. Prof. Dr. Peter Schallenberg hat einen Lehrstuhl für Moraltheologie und Ethik an der Kath. Fakultät Paderborn und ist Direktor der Katholisch-Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle Mönchengladbach. Für den DOM sprach Andreas Wiedenhaus mit ihm über Hintergrund und Wirkung von „Rerum Novarum“.

DOM: Welche zentralen Aussagen hat „Rerum Novarum“?

Prof. Schallenberg: Betont werden das Recht der Arbeiter auf Privateigentum und das Recht auf Vereinigungsfreiheit – wir würden heute sagen auf Gewerkschaftsbildung. Das sind zwei zentrale Punkte, die gleichzeitig auch auf den Hintergrund der Enzyklika verweisen; allerdings mit einiger zeitlicher Verzögerung: Da ist zum einen der irische Hungerwinter 1846/47. Damals sind viele katholische Iren, die keinen Grundbesitz hatten, ausgewandert. Seitdem tauchte die Frage nach dem Privateigentum der Arbeitnehmer immer wieder auf: Was muss den Arbeitern, die oftmals in Massenelend lebten, an Privateigentum zugestanden werden? Gewerkschaftsgründungen wurden von der Kirche anfangs eher kritisch gesehen, insbesondere, wenn es sich um gemischt-konfessionelle Gewerkschaften handelte.

Spielte in diesem Zusammenhang auch das Aufkommen der kommunistischen Idee eine Rolle?

Zweifellos! Das Kommunistische Manifest gehört sicher auch in diesen Zusammenhang. Die Kirche hat den Kommunismus von Anfang an als Gegner erkannt, nicht zuletzt weil es große Schnittmengen gab. Johannes Paul II. hat einmal gesagt, dass der Kommunismus einen richtigen Gedanken habe, ihn aber zu früh äußere. Die Idee, dass alle Menschen gleichen Rechtes und gleicher Würde sind, vertritt auch das Christentum. Der christliche Glaube sagt aber, dass all dies erst in der Ewigkeit Gottes vollendet wird. Demgegenüber vertritt der Kommunismus den Anspruch, quasi den Gottesstaat auf Erden mit Gewalt zu errichten. Schon Augustinus wendet sich in seinem großen Werk „Vom Gottesstaat“ gegen diese Idee. Der Gottesstaat ist nach Augustinus unsichtbar in den Herzen durch die Sakramente, sichtbar ist der Erdenstaat, der versucht, durch Gesetze und Gerechtigkeit zu kanalisieren. In der Menschheitsgeschichte gab es immer wieder Versuche, den Himmel auf Erden zu errichten. In „Rerum Novarum“ betont die Kirche noch einmal ausdrücklich, dass es um gerechte Gesetze und den Ausgleich von Interessen gehe und nicht um eine vollständige Beglückung des Menschen. Der Sozialstaat, wie wir ihn in Deutschland kennen, ist der Versuch, allzu große Unterschiede der Lebensverhältnisse abzumildern.

Wie wurde die Enzyklika angenommen?

Sie wurde begeistert aufgenommen. Denn eigentlich war es längst überfällig gewesen, dass die katholische Kirche sich äußerte. Leo XIII. hatte die Zeichen der Zeit erkannt und sicherlich auch gute Berater. Das Echo war in Europa und in den USA sehr positiv. Schließlich gab es ja bereits eine große Bandbreite von sozialer Bewegung in der katholischen Kirche. Der Resonanzboden war entsprechend stark für diese damals wirklich moderne Stellungnahme der Kirche zu den Folgen der industriellen Revolution. Von nun an bildete in allen europäischen Bischofskonferenzen die soziale Frage einen Schwerpunkt.

Wie war die Wirkung über die Kirche hinaus, etwa mit Blick auf die Politik?

Diese Frage ist ja bis heute virulent: Wie weit greift die Kirche in Politik ein? Heute können wir feststellen, dass sie dies indirekt tut. Nach der endgültigen Entflechtung von Kirche und Staat wirkt die Kirche durch das Handeln von mündigen getauften Laien. Man darf ja nicht vergessen, dass „Rerum Novarum“ noch vor dem Hintergrund der allgemein anerkannten monarchischen Staatsform formuliert wurde; zumindest in Europa. Bis zur Anerkennung der Demokratie sollten noch über 50 Jahre vergehen. Unabhängig davon wurden aber Parteien wie das Zentrum in Deutschland gestärkt, und die Enzyklika sorgte dafür, dass diese Bewegung stark wuchs.

Wirkt Rerum Novarum so gesehen bis heute?

Die Wirkungsgeschichte ist zum einen ablesbar an den Jubiläen: In der Folge werden zu den Jahrestagen immer wieder neue Enzykliken veröffentlicht, bis hin zu Johannes Paul II. „Centesimus Annus“ im Jahr 1991, die noch einmal deutlich macht, dass nach dem Fall des Kommunismus keinesfalls der amerikanische Kapitalismus der Sieger ist. Nach Johannes Paul II. sollte das herrschende Modell nicht der ungezügelte Kapitalismus sein, sondern das, was wir Soziale Marktwirtschaft nennen.

Wo steht die katholische Kirche heute in diesem Kontext? Müsste sie sich deutlicher und schneller positionieren?

Schneller wäre durchaus wünschenswert. Die Stellungnahmen gehen durch Gremien und Kommissionen und werden immer wieder diskutiert. Das ist einerseits richtig, weil man natürlich „wasserdichte“ Aussagen veröffentlichen will. Wenn man schneller reagieren würde, wäre es weniger amtlich und offiziell. Aber vielleicht sollte man sich früher in die Diskussionen einschalten. Die katholische Kirche hat die Neigung, sich immer in möglichst abgesicherter Weise zu äußern. Was angesichts der aktuellen Dynamik in vielen Fragen nicht einfach ist.

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